Seniorin besucht altes Erftwerks-Gelände „Mein Geburtsort – 94 Jahre später“

Grevenbroich · Ottilie Hintzen kehrt für einen Tag zurück an den Ort, an dem sie ihre Kindheit verbracht hat: auf das Gelände des „Erftwerks“. Damals wie heute dreht sich dort alles um Aluminium. Die Seniorin erkennt Manches wieder, auch ihr altes Wohnhaus.

 Ottilie Hintzen besucht den Aluminium-Standort, das alte Erftwerk. Ihr Weg führte sie durch eine der Straßen zwischen den Produktionshallen.

Ottilie Hintzen besucht den Aluminium-Standort, das alte Erftwerk. Ihr Weg führte sie durch eine der Straßen zwischen den Produktionshallen.

Foto: Kandzorra, Christian

Im hohen Alter noch einmal zurückzukehren an den Ort, wo sie ihre Kindheit verbracht hat, dahin, wo sie geboren wurde: Das war der Wunsch von Ottilie Hintzen aus Grevenbroich. Diesen Wunsch hat sie sich im stolzen Alter von 94 Jahren jetzt erfüllt. Vielleicht zum ersten Mal überhaupt bahnte sich eine rüstige Seniorin – im Rollstuhl sitzend von ihrer Nachbarin Susanne Schumacher geschoben – den Weg über das Gelände des ehemaligen Erftwerks, den Aluminium-Standort, an dem heute drei stattliche Unternehmen wirtschaften. „Hier bin ich geboren“, sagt die Seniorin und zeigt auf ein Verwaltungsgebäude neben dem Pförtnerhäuschen. „Zur Straße hin, da war das Fenster meines Schlafzimmers.“ Vom März 1924 bis Ende des Zweiten Weltkriegs hat sie dort gewohnt, wohl auch, weil ihr Vater als Pförtner und in einer Krankenstation auf dem Gelände arbeitete.

Für Jeannine Bayley von der Firma Real Alloy war es jedenfalls ein außergewöhnlicher Termin, das Treffen mit Ottilie Hintzen. „So einen Wunsch erfüllen wir natürlich gerne“, sagt Bayley, die weiß, dass das Gelände durchaus geschichtsträchtig ist. Jeannine Bayley begleitete Hintzen und Schumacher bei ihrem Gang über das Gelände und zeigte den beiden, in welchen Gebäuden heute welche Produktionsstätten untergebracht sind. Dabei wurde deutlich: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Aluminium-Standort Grevenbroich stark verändert. „Einige Gebäude erkenne ich aber noch wieder“, sagt Ottilie Hintzen, während sie an einigen alten Backstein-Bauten vorbeigeführt wird. „Aber wie früher ist es nicht mehr.“

 Dieses Foto aus den 1920er Jahren zeigt das Erftwerk aus der Vogelperspektive. Am rechten Bildrand ist das Geburtshaus von Ottilie Hintzen zu erkennen. Es steht noch heute.

Dieses Foto aus den 1920er Jahren zeigt das Erftwerk aus der Vogelperspektive. Am rechten Bildrand ist das Geburtshaus von Ottilie Hintzen zu erkennen. Es steht noch heute.

Foto: Karl P. Haendly, Der Kreis Grevenbroich. Seine wirtschaftliche Entwicklung und der Stand seiner Verwaltung, Paderborn 1927.

Erstaunlich: Das Haus, in dem sie geboren wurde, steht noch – es wurde gerade erst saniert. Und Ottilie Hintzen weiß so einiges zu berichten, wenn sie das Haus auch mit Rollstuhl jetzt nicht mehr betreten konnte: „Es gab dort ein Labor, einen Luftschutzkeller. Und vor dem Haus eine Wiese, auf der Schafe frei herumliefen.“ Zur Schule gegangen ist sie in Allrath, später hat sie in Ramrath ihre große Liebe kennengelernt, ihren späteren Mann, mit dem sie 61 Jahre verheiratet war.

Die 94-Jährige hat vieles noch genau vor Augen. „Nach dem Krieg mussten wir in eine andere Wohnung in der Stadt“, erzählt die Seniorin, die sich noch gut an den Einmarsch amerikanischer Soldaten erinnern kann. Die hätten auch die Wohnung ihrer Familie auf dem Erftwerksgelände besetzt. „Ich bin nie wieder in die Wohnung zurückgekehrt“, sagt Hintzen, kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, gegen Ende der 1940er Jahre, hat sie das Aluminium-Areal zum letzten Mal besucht.

Was ihr bleibt, ist die Erinnerung an ihre Kindheit – und das Bildnis einer Madonna, das ihr zur Geburt geschenkt wurde. Das Bild hatte über Jahre in ihrem Schlafzimmer in der Erftwerks-Wohnung gehangen, die sie nach dem Krieg „Hals über Kopf“ verlassen mussten. Eines Tages, erzählt Hintzen, habe man ihr das Bild zurückgegeben – bis heute hängt es in ihrer Wohnung in der Südstadt, einem Stadtteil, der mit dem Erftwerk und überhaupt mit dem Aluminium-Standort gewachsen ist.

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