Interview Werner Esser "Inklusion - wir brauchen Ausdauer"

Emmerich · Der Vorsitzende der Lebenshilfe Unterer Niederrhein, spricht über Fortschritte und über die Stellen, an denen es am meisten hakt.

Interview Werner Esser: "Inklusion - wir brauchen Ausdauer"
Foto: Bosmann, Jürgen (bosm)

In Deutschland leben knapp 500 000 Menschen mit geistigern Behinderung. Davon betreut die Lebenshilfe bundesweit rund 170 000. Werner Esser, Vorsitzender der Lebenshilfe Unterer Niederrhein, spricht über den Weg zur Inklusion, die diese Menschen in allen Lebensbereichen gesellschaftlich teilhaben lassen möchte.

Inklusion ist heute in aller Munde. Trotzdem werden die Begriffe Inklusion und Integration immer wieder deckungsgleich verwendet. Wo liegt der Unterschied?

Esser In der Nachkriegszeit wurden Menschen mit Behinderung aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Man spricht von Exklusion. Als deren Eltern merkten, dass sich an diesem Zustand was ändern musste, haben sie ihre Kinder in Zusammenschlüssen selbst unterrichtet und betreut. Damit wurden sie in eine Schublade gesteckt. Das war Separation. Im Rahmen der Integration werden Menschen mit Behinderung respektiert und akzeptiert. Sie sind Teil der Gesellschaft, aber in vielen Lebensbereichen weiterhin eine abgegrenzte Gruppe. Eine inklusive Gesellschaft erkennt die Individualität und Vielfalt aller Menschen an und ermöglicht ihnen eine gemeinsame Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das setzt die Bereitschaft voraus, im Anderssein von Menschen mit Behinderung Potenziale für die Allgemeinheit zu erkennen. Inklusion heißt also, die eigene Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung zu ändern.

Wie weit ist die Inklusion ? Gelingt das Vorhaben?

Esser Ich bin mir sicher, dass wir Erfolg haben werden. Wir sind auf einem guten Weg. Aber wir brauchen Ausdauer. Inklusion ist ein langwieriger Prozess, der in den Köpfen der Menschen beginnt. Was mir im derzeitigen Diskurs zur Inklusion noch zu kurz kommt, sind die vielen gesellschaftlichen Bereiche, um die es geht. Im Vordergrund steht meist die schulische Inklusion. Das ist ein wichtiger und emotional aufgeladener Bereich. Aber auch die Öffnung der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung etwa in den Bereichen Sport, Freizeit, Arbeit und Wohnen sollte Thema sein. In allen engagiert sich die Lebenshilfe Unterer Niederrhein. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland im Jahre 2009 in Kraft getreten ist, hat übrigens 50 Artikel. Nur einer beschäftigt sich mit Schule und Bildung.

Besonders im schulischen Bereich werden immer wieder Rufe nach notwendigen Rahmenbedingungen laut. Sind die gegeben?

Esser Wir müssen noch mehr in Personal und deren Ausbildung investieren. Man kann mit dem Finger auf die Kommunen zeigen, die sicherlich auch gefragt sind. Aber wir stehen vor einem Paradigmenwechsel. Die Eltern müssen sich auch von sich aus für die Inklusion einsetzen. Die Impulse müssen aus der Mitte der Gesellschaft kommen, damit Politik und Entscheidungsträger sie aufgreifen. Auch wir als Lebenshilfe sind gefragt. Wir müssen Menschen mit Behinderung ermutigen, selbst Entscheidungen für sich zu treffen und mitzugestalten. Wir wollen ja nicht über diese Menschen, sondern mit ihnen entscheiden.

RP-MITARBEITER NIELS EBLING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort