Stadtteilhelden Auf schmalen Reifen durch die Stadt

Friedrichstadt · Er ist Fahrradkurier, Skater und Kreativer – Christian Hühn gestaltet aus alten Fahrradteilen Lampen, nimmt an Kurierfahrer-Weltmeisterschaften teil und kreiert Mode für Biker. Seine Shirts werden auch in New York getragen.

 Um die benötigte Geschwindigkeit auf die Straße zu bringen ist vor allem eines wichtig: Affinität fürs Rad, findet Christian Hühn.

Um die benötigte Geschwindigkeit auf die Straße zu bringen ist vor allem eines wichtig: Affinität fürs Rad, findet Christian Hühn.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Die Sonne steht hoch, auf dem Fürstenplatz brütet ein weiterer heißer Sommernachmittag Passanten. Und während die ersten Mütter gemeinsam mit ihren Kindern den Spielplatz erkunden und fleißig Reiswaffeln und ungesüßten Biotee an ebenfalls eintrudelnde befreundete Familien verteilen, liegt auf der Einfassung des Industriebrunnens ein junger Mann mit freiem Oberkörper und liest Sartre. „Vor 20 Jahren wäre das undenkbar gewesen“, sagt Christian Hühn und schaut lange über den weitläufigen Platz.

Seit rund 14 Jahren wohnt der 1972 Geborene in Friedrichstadt. Und weil er zuvor bereits in Bilk und in Oberbilk, in seiner Kindheit aber auch in Derendorf und in Heerdt gelebt hat, beobachtet er immer auch ein wenig den Wandel der einzelnen Stadtteile. Nicht zuletzt, weil er viel rumkommt in der Stadt.

Seit 1996, und damit unmittelbar nach seinem Zivildienst, arbeitet der drahtige Mann als Fahrradkurier und übernimmt dabei mit seinem Lastenrad nicht selten auch Fahrten in die entlegeneren Stadtteile. Die dabei erradelten Kilometer zählt er allerdings schon lange nicht mehr. „Warum auch?“, fragt Hühn, der weiß, dass an manch stressigen Tagen durchaus rund 150 Kilometer im Sattel zusammenkommen können.

Eingestiegen in das Kurier-Geschäft ist Hühn zu einer Zeit, in der die Branche ihren Höhepunkt erlebte. Insbesondere die zahlreichen Werbeagenturen und Start-ups der 1990er Jahren waren einst Kunden der Kuriere auf zwei Rädern. „Damals mussten insbesondere Negative und Fotoabzüge von Fotografen zu Agenturen und zurück transportiert werden“, erzählt Hühn. Prüfdrucke, die von den Agenturen und deren Kunden abgesegnet werden mussten. Keine Seltenheit, dass damals selbst kleine Agenturen rund 40 Fahrten am Tag beauftragten.

Dann kam der Umbruch, die digitale Welt, die Notwendigkeit einer physischen Weiterleitung der Inhalte wurde obsolet. Fotos und Texte wurden fortan per Mail versandt, die Auftraggeber wandelten sich. „Heute“, sagt der Kurierfahrer, „sind es eher Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater, die uns beauftragen.“ An der Disziplin und auch an der Geschwindigkeit, mit der die Kuriere ihre Botenfahrten ausführen, hat sich indes nichts geändert. Und auch nicht an dem Zusammenhalt der Kuriere untereinander. „Eine eigene Szene“, sagt Hühn, „fast eine eigene Welt“.
Von der ist Hühn so begeistert, dass er irgendwann auch damit begonnen hat, aus alten Fahrradteilen, etwa aus Ritzeln und Kettenblättern, aus Hydraulikbremsscheiben und Speichen, Lampen zu entwerfen. Dekorative Designs, die jedes Radlerherz höher schlagen lassen.

Und nicht nur das Skateboardfahren, das Hühn seit seiner Jugend leidenschaftlich betreibt, insbesondere auch das Radfahren ist über seinen Job hinaus eine seiner ausgeprägten Leidenschaften. Denn während einige der Fahrradkuriere in ihrer Freizeit gar nicht in die Pedale treten, nimmt er parallel zu seiner Tätigkeit als Kurier – mittlerweile arbeitet er auch als Disponent der Kuriere im Innendienst – durchaus auch an Landes-, Europa- und Weltmeisterschaften der Kurierfahrer teil.

Die finden weltweit statt, etwa in Berlin, Mexiko-Stadt oder Tokio, und simulieren unter anderem in sogenannten Alleycat-Rennen – das sind Schnitzeljagden auf dem Fahrrad – spielerisch den Alltag von Kurierfahrern. Einerseits können sich die Fahrer dabei sportlich messen, andererseits aber dienen die Veranstaltungen auch der Vernetzung und Kontaktpflege der Fahrer untereinander. Und weil Hühn bereits früh auch seine Skateboards künstlerisch verfremdete, etwa durch eigene farbliche Gestaltung der Boards, lag die Idee nahe, dies auch im Fahrradsegment zu tun.

So entwirft er zum Beispiel T-Shirts mit entsprechenden Fahrrad-Designs. In Kleinstauflaugen gibt der Kreative diese Shirts an befreundete Kurierfahrer weiter, nicht selten dienen die aber auf dem bunten Treiben der Alleycat-Rennen auch als begehrte Tauschware. Etwa für ebenfalls selbstgestaltete Shirts von Kurierfahrern aus New York.

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