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Erste „Demokratische Schule“ in Düsseldorf Eltern gründen Schule ohne Klassen, Noten und Lehrplan

Düsseldorf · Die ehemalige Konrektorin der Realschule Golzheim spricht über die Gründung der ersten „Demokratischen Schule“ in Düsseldorf. Im Sommer soll sie im Südpark eröffnen.

 Monika Brosch vor dem Haus Kolvenbach, einer ehemaligen Tanzschule im Südpark. Dort sollen die Schüler ab dem Sommer die Demokratische Schule besuchen.

Monika Brosch vor dem Haus Kolvenbach, einer ehemaligen Tanzschule im Südpark. Dort sollen die Schüler ab dem Sommer die Demokratische Schule besuchen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Zum nächsten Schuljahr soll die erste Demokratische Schule Düsseldorf“ (DSD) eröffnen. Das Besondere: An der sogenannten Ersatzschule soll es keinen Lehrplan geben, keine Noten, keine Klassen. Die Schüler sollen selbst entscheiden, was sie wie lernen wollen und ob sie das überhaupt möchten. Die Schule wäre die erste dieser Art in NRW. Bundeweit gibt es nur wenige andere, in Hamburg etwa die von Sängerin Nena mitgegründete „Neue Schule Hamburg“. Monika Brosch, langjährige Lehrerin und Konrektorin an der Realschule Golzheim, soll die Schule im Südpark leiten.

Frau Brosch, wann haben Sie zum ersten Mal am Regelschulsystem gezweifelt?

Brosch Schon als Kind habe ich mich in der Schule von den Lehrern oft nicht verstanden gefühlt. Und ich habe oft nicht verstanden, worum es etwa in Mathe ging. Die Schulzeit habe ich als sehr druckvoll erlebt. Fast immer hatte ich das Gefühl, den Ansprüchen nicht zu genügen. Ich musste mich durchkämpfen. Erst als ich alle Examina bestanden hatte im Studium, wurde es besser, fiel die Last von mir.

Warum wurden Sie Lehrerin?

Brosch Schon an meinem ersten Schultag wusste ich, dass ich das eines Tages sein würde. Weil ich es mag, mit und von anderen Menschen zu lernen. In meiner langen Zeit als Jugendleiterin im kirchlichen Bereich habe ich dann Kinder und Jugendliche eigenverantwortlich, selbstbestimmt, wach und kreativ erlebt. Im Referendariat haben wir Jung-Lehrer allerdings oft frustriert gesagt: „Es muss doch auch anders gehen, etwas anderes geben.“ Denn die Schüler bauten mit den Jahren immer mehr eine Wand auf mit „Ich will nicht“ und „Was soll das überhaupt“, was natürlich auch auf uns Lehrer dann irgendwann abfärbte.

Hatten Sie konkrete Vorstellungen?

Brosch Ich hatte die verrückte Idee, mit Schülern in einem Bus durch Europa zu fahren und durch das Erfahren und Erleben etwas zu lernen: zum Beispiel Mathe, in dem wir unseren Kraftstoffverbrauch berechnen, oder Geographie und Sprachen durch unser Reisen. Doch damals waren die Bedingungen, eine Ersatzschule zu gründen, noch viel härter. Und dann kamen meine eigenen Kinder und das Sicherheitsbedürfnis dazu, und ich bin dann im Regelschulsystem geblieben.

Sie sind 2014 in den Ruhestand gegangen, in diesem Jahr sollen und wollen Sie Schulleiterin der ersten Demokratischen Schule in NRW werden. Wie kam es dazu?

Brosch Einer aus der Gründungsinitiative erzählte mir letztes Jahr von dem Projekt, an dem schon einmal 2005 gearbeitet wurde. Man war  gerade dabei, den Genehmigungsantrag für eine Ersatzschule bei der Bezirksregierung zu stellen. Und sie brauchten eine Schulleiterin. Bei den Arbeitstreffen habe ich viele junge, kompetente, engagierte Menschen kennengelernt. Die bekommen keinen Pfennig dafür, arbeiten sich in Themen ein, die ihnen vollkommen fremd und hochkomplex sind, wie das Bauen und das Baurecht. Und sie finden für alles begeisterte Menschen, die sie unterstützen, etwa eine Architektin. Andere kümmern sich wiederum um Spendengelder. Da habe ich mir gedacht: Das wäre auch für mich etwas.

Braucht eine Demokratische Schule überhaupt eine Schulleitung?

Brosch Eigentlich nicht, aber die Bezirksregierung will gerne einen direkten und offiziellen Ansprechpartner. Und ich glaube, dass ich da ganz richtig bin, weil ich einerseits das Regelschulsystem und die Denkweise der Bezirksregierung und Verwaltung kenne und andererseits meinen persönlichen Wunsch nach einem mehr selbständigen, selbstbestimmten Umgang der Schüler mit dem Lernen in einer Demokratischen Schule optimal realisiert sehe.

Wie sieht ein normaler Tag in einer Demokratischen Schule denn aus?

Brosch Bei uns können die Schüler, die mit ihrem Schulbesuch bei uns die gesetzlichen Schulpflicht bis zur 10. Klasse erfüllen, zwischen 8 und 9.30 Uhr kommen und die Betreuung wird bis 16 Uhr angeboten. Die Kinder, wir wollen mit den Klassen 1 bis 7 starten, können dann spielen, was lesen oder einen Sing-Wettbewerb organisieren. Oder was immer sie machen wollen. Und wenn sie möchten, können sie uns Lehrer als Begleitung dazunehmen. Wir haben ausgebildete Lehrer für alle Fächer in den Klassen 1 bis 10. Wir haben auch eine Köchin, die mittags frisch und vegetarisch kochen kann. Und wir helfen mit außerschulischen Lernorten, etwa beim Besuch von Bibliotheken, Buchhandlungen oder Praktika etwa bei Firmen.

Welche Hoffnung verbinden Sie mit diesem Konzept?

Brosch Schüler lernen bis zum 6. Lebensjahr und nach dem 18. wegen der sogenannten intrinsischen Motivation, also durch eigenes Fortkommenwollen und nur in der Zeit von sechs bis 18 Jahren wird ihnen vorgeschrieben, dass sie zum Beispiel montagmorgens um 9 Uhr sich für Geschichte zu interessieren haben. Kinder sind von Natur aus neugierig und lernen gerne. Sie brauchen keinen Lehrplan oder Druck. Wenn man sie nicht bremst, sondern fördert, bleibt die natürliche Motivation, neues zu entdecken und zu lernen. Und sie lernen nachhaltiger.

Besteht darin aber nicht auch die Gefahr, dass Schüler Essentielles wie die deutsche Sprache oder Mathe nicht lernen bzw. vertiefen?

Brosch An Regelschulen wird oft nur für eine Klausur gelernt und danach alles wieder vergessen. Wir glauben, dass Lernen am nachhaltigsten durch Begeisterung geschieht. Kinder entfalten ihr Potential am besten, wenn sie individuell in ihren Stärken gefördert werden. Jahrgangsübergreifendes Lernen ohne Noten, Klassenarbeiten oder Hausaufgaben sind erfolgreich. Das sehen wir auch an anderen vergleichbaren Schulen in Hamburg oder Freiburg, die prozentual gesehen, gleichviele Schulabschlüsse wie die Regelschule hervorbringen und gut vorbereiten, zum Beispiel auf das Abitur oder die Ausbildung. Jedes Kind sollte sich bei uns im Laufe seiner Schulzeit aber einen Mentor suchen.

Was genau ist das für eine Person?

Brosch Er fungiert als Lernberater. Kinder haben ja irgendwann Ideen, was sie später mal machen wollen. Und dann werden sie Fragen stellen wie: „Was brauche ich dafür, wenn ich zum Beispiel Gartenpflege machen möchte?“ Dann wird der Lernberater sagen: „Du brauchst dafür Kenntnisse in Biologie und Mathematik, musst lesen und schreiben können.“ Dann werden sie fragen, welchen Schulabschluss sie brauchen. Die Kinder leben ja nicht in einem isolierten Raum, sondern wissen, dass es Abschlüsse gibt und man sie braucht. Dementsprechend bereiten wir die Kinder dann auf die externen Prüfungen vor, zum Beispiel für die mittlere Reife, wenn sie das möchten. Diese Möglichkeit wird zurzeit im Schulministerium geprüft.

Wie organisiert sich eine Demokratische Schule?

Brosch Kernstück ist die Schulversammlung einmal in der Woche. Die Schüler können hingehen, müssen aber nicht. Darin haben alle eine Stimme, die Schüler, die Lehrer, der Hausmeister und so weiter. Schüler könnten zum Beispiel einen Antrag für Japanisch-Unterricht stellen. Die Schüler könnten dann entscheiden, ob sie das Geld aus ihrem Etat dafür ausgeben wollen. Wir haben auch ein Lösungskomitee: Wenn ein Schüler zum Beispiel sich nicht an die Regeln hält, etwa einen Computer-Arbeitsplatz länger als erlaubt besetzt, kann ein anderer Schüler das vor das Komitee bringen. Dann wird über eine Lösung gesprochen. Wer ungerecht behandelt wird, kann dies aber auch äußern und dann wird eine für alle Seiten tragbare Lösung ausgehandelt.

Wie sind die Erfahrungen an vergleichbaren Schulen? Für welche Themen/Fächer interessieren sich denn die Schüler und was machen sie nach der Schulbesuch?

Brosch Wir wissen zum Beispiel von einem Schüler, der sich mit 12 Jahren in den Kopf setzte, Bestattungsunternehmer zu werden, das auch geworden ist. Viele Schüler finden wir auch später im Projektmanagement wieder, weil sie sehr vernetzt denken und arbeiten können, stark in der Kommunikation, im Aushandeln von Vereinbarungen sind. Eine 20-Jährige aus Freiburg war zum Beispiel bei uns und hatte bis zur Klasse 10 bereits drei Fremdsprachen gelernt. Ihr Abitur hat sie an der Regelschule gemacht und war dort schockiert, wie langsam ihre Mitschüler waren, wie lange sie gebraucht haben, um Themen zu erfassen oder überhaupt ans Arbeiten zu gehen. Sie studiert jetzt Germanistik und Romanistik.

Welchen Background haben die Eltern, die sich in der Gründungsinitiative Ihrer Schule organisieren?

Brosch Das ist eine bunte Mischung. Wir haben ca. 40 engagierte Mütter und Väter, die zum Beispiel aus dem Erziehungs- und Psychologie-Bereich kommen, aber auch Handwerker und Physiotherapeuten. Ich denke, dass viele wissen von den Anpassungsschwierigkeiten von Schülern, von Mobbing und Erwartungshaltungen, die Schüler nicht erfüllen können, weil sie einen anderen Zugang zum Lernen haben, dem man an einer Regelschule aber nicht gerecht werden kann, wenn 30 Kinder gleichzeitig dasselbe lernen.

In welcher Phase befindet sich Ihr Antrag auf Genehmigung als Ersatzschule?

Brosch Den haben wir im April bei der Bezirksregierung Düsseldorf eingereicht und normalerweise dauert ein solches Genehmigungsverfahren mindestens neun Monate, weil der von der jeweiligen Bezirksregierung vorbereite Antrag dann dem Schulministerium zur Genehmigung vorgelegt wird. Wenn wir als Ersatzschule genehmigt werden, wird das Land für 87 Prozent unserer Kosten aufkommen. Den Rest würden wir über Spenden und freiwillige Elternbeiträge finanzieren. Das Spendensammeln läuft gut.

Wie geht es weiter, wenn die Schule und das Konzept nicht genehmigt werden?

Brosch Ich wäre dann sehr traurig, doch mein bisheriges Leben würde sich dann nicht ändern, da ich ja bereits in Rente bin. Aber für all die anderen Menschen, die sich schon so lange engagieren, all diejenigen, die als Lehrer und Sozialarbeiter auch ihren Unterhalt bestreiten wollten, wäre das sehr schlimm. Und natürlich für die Kinder und deren Eltern.

Wie laufen die Anmeldungen?

Brosch Wir sind so gut wie voll, haben mehr Anmeldungen als Plätze. Wir wollen mit 50 Schülern starten, dann aufstocken auf 80 bis 100.

Die Gesellschaft scheint sehr auf Leistung und auch auf messbaren Erfolg ausgerichtet zu sein, Kinder lernen teilweise schon in der Kita Englisch. Wie erklären Sie sich das dennoch große Interesse an Ihrer Schule?

Brosch Ich denke, dass die Menschen spüren, dass dieser Weg krank machen kann. Wir haben viele Menschen, die sich unwohl fühlen, Burnout haben, viele Menschen, die nur noch für sich selbst leben, unzufrieden sind mit ihrem Arbeitsplatz und Lohn und sich unter Druck gesetzt fühlen. Wir hoffen, dass unsere Schüler bessere Entscheidungen für sich treffen werden eines Tages.

Mit dem Haus Kolvenbach hat sich die Initiative für ein sehr sanierungsbedürftiges Gebäude entschieden. In den vergangenen Jahren konnte die Stadt dafür keinen Käufer finden.

Brosch Wir waren zwei Jahre lang sehr intensiv auf der Suche, oft gab es Objekte in der Nähe von Industriegebieten oder Eisenbahnlinien, leider keine freien Schulgebäude. Doch im Südpark haben wir das Umfeld, das zu unserem Konzept passt. Wir haben den idyllischen Park, den Seilzirkus, den VHS-Biogarten, die Anbindung an die Werkstatt für Angepasst Arbeit und die benachbarten Sportvereine. Zunächst wird das Erdgeschoss umgebaut. Durch Trennwände und Schiebelemente könnten wir die Räume verkleinern und auch vergrößern, etwa für die Schulversammlung. Im zweiten und dritten Jahr wird dann sukzessive weiter ausgebaut. Zudem haben wir eine komplett eingerichtete Küche, die mit vergleichsweise geringem Aufwand in Betrieb genommen werden kann und in der unsere Köchin täglich frisch vegetarisch kochen könnte. Wir rechnen mit gut 80.000 an Renovierungskosten.

In der für den Südpark zuständigen Bezirksvertretung haben sich einige Politiker Sorgen gemacht, ob Sie im Haus Kolvenbach ein vernünftiges Sportangebot anbieten können werden.

Brosch Die Menschen, die nachfragen, denken meist in Klassenverbänden und an Turnhallen. Wir werden vielleicht fünf bis zehn Schüler haben, die zum Beispiel etwas machen wollen. Und dafür haben wir einen Mietvertrag für eine Sporthallennutzung über den (Außerdem haben wir mit dem) Stadt Sportbund Düsseldorf (Verträge) abgeschlossen, so dass wir, sobald wir das Okay als Schule haben, (konkrete Anfragen stellen können.) auch Sportunterricht durchführen könnten.

Wie wollen Sie die Schulleitung, im Gegensatz zu früher, ausüben?

Brosch Früher habe ich Schulleitung eher hierarchisch, also von oben nach unten gemacht, in Zukunft wird sich meine Schulleitungstätigkeit partnerschaftlich gestalten. Alle an der DSD beteiligten Personen haben gleiches Stimmrecht und übernehmen mit mir zusammen Verantwortung. Mit 66 Jahren würde ich das sonst nicht machen.

Sollen auch Ihre Enkelkinder die Schule besuchen?

Brosch Wir haben im Familienkreis schon oft darüber gesprochen. Doch sie leben in Solingen, und mit der Hin- und Herfahrerei würde das leider nicht klappen.

Sie haben als Kind nicht weit weg vom Haus Kolvenbach gelebt. Waren Sie auch schon mal im Kolvenbach?

Brosch Mein Bruder erinnert sich daran, wie wir als Kinder dort waren, unsere Eltern nachmittags getanzt haben und wir eine Limonade auf der Terrasse getrunken haben.

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