Oberkassel Das Ende einer kulturellen Institution

Düsseldorf · Am Silvestertag schloss die kleine Buchhandlung „Gudrun Lange“ an der Luegallee nach genau 36 Jahren. Inhaber Bernd Gossens war der Mietvertrag gekündigt worden.

 Buchhändlerin Katharina de Fries steht in der Buchhandlung „Gudrun Lange“ am Tisch mit den Neuerscheindungen.

Buchhändlerin Katharina de Fries steht in der Buchhandlung „Gudrun Lange“ am Tisch mit den Neuerscheindungen.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Sie galt als kleinste Buchhandlung Deutschlands. Deshalb war zwar nicht jedes Buch vorrätig, wurde aber stets innerhalb eines Tages besorgt. So viel Zeit muss sein, zumal für leidenschaftliche Leser, deren Uhren eh anders ticken. Dafür gab es zu jedem Gedruckten ein paar Sätze, eine Einschätzung, oft die Aufforderung: „Sagen Sie mir mal, wie Sie es fanden.“ Die Buchhandlung „Gudrun Lange“an der Luegallee war ein Ort für Menschen, die lieber blättern als über Bildschirme zu wischen. Damit ist es nun vorbei. Am Silvestertag wurde diese Institution geschlossen – nach 36 Jahren, weil der Mietvertrag gekündigt wurde

Direkt neben der Tür standen die Biografien, Gandhi in der Nachbarschaft von Nelson Mandela. Dann kamen die Sachbücher, unter dem Fenster fand die Welt Platz – Reiseliteratur in allen Facetten, daneben in hohen Regalen die Krimis. In der Mitte versammelten sich auf einem Tisch die Neuerscheinungen. So hatte jedes Genre seinen festen Platz, wurde jeder Zentimeter genutzt. „Gerade wenn wenig Raum ist, braucht alles eine Ordnung“, war die Devise von Gudrun Lange, die diese Buchhandlung 1982 gründete und später Gastgeberin zahlreicher Autorenlesungen war.

Dass dieser Raum mit seinen 37 Quadratmetern nur so groß wie ein Wohnzimmer war, störte sie nicht; dass es kein Lager gab, war ein größeres Problem, aber zu lösen: Die Buchhändlerin mietete um die Ecke eine Wohnung, zog dort ein und nutzte einen der Räume als Warenlager und Arbeitszimmer. Improvisationstalent gehörte zu ihren Talenten, ein glänzendes Gedächtnis hatte sie außerdem. In einem Fernsehinterview mit dem ZDF erzählte sie mal, dass sie 80 Prozent ihrer Kunden mit Namen kannte, deren Lesegeschmack sowieso. Ihr Rezept ging auf: Sie setzte auf Individualität statt auf Masse: „Ich wollte eine Einheit zwischen mir und dem, was ich anbiete“, sagte sie damals.

Nach ihrem frühen Tod 1993 – Gudrun Lange wurde nur 52 – führte erst ihre Schwester den Laden, zwei Jahre später übernahm ihn Bernd Gossens, Inhaber der gleichnamigen Buchhandlung ein paar hundert Meter entfernt. Der alte Name aber blieb, ein Foto der Gründerin auch, selbst die beiden blauen Korbsessel haben bis zum Schluss durchgehalten; unzählige Kunden haben auf ihnen einen Moment innegehalten, ein paar Seiten in einem Buch gelesen – und wenn sie den Blick hoben, sahen sie auf ein Loriot-Plakat neben dem Fenster.

Es gab Kunden, die kamen nur vorbei, um ihre abonnierte Eisenbahnzeitschrift abzuholen, andere lieferten vor Weihnachten lange Bestelllisten ab, weil sie ausschließlich Bücher verschenkten, alle gebunden. „Und manche Leser haben gleich die Ecke mit den besonders schön gemachten Büchern angesteuert, die vom Insel- oder Manesseverlag“, sagt Katharina de Fries, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Ellen Zimprich den kleinen Buchladen in den vergangenen Jahren betreute. „Für viele Menschen war dies ein Ort des regen Austauschs, man sprach über Literatur und über das Leben“ – was ja häufig dasselbe ist.

Aber dann kam zum 31. Dezember die Kündigung des Hausbesitzers, der den Platz braucht, um seine Praxisräume zu erweitern. Bernd Gossens hätte gern in der Nachbarschaft ein anderes Ladenlokal gemietet, „das ist uns trotz vielfacher Bemühungen nicht gelungen.“ Erst wenige Tage vor Jahresende seien die Verhandlungen gescheitert, sagt er. Der Grund: „Wir haben 30 Euro pro Quadratmeter geboten, aber der Hausbesitzer will lieber an den Meistbietenden vermieten.“

Vor ein paar Tagen blieb ein alter Herr vor dem Schaufenster stehen, las den Zettel, auf dem die Schließung angekündigt wurde und meinte wehmütig: „Was mach’ ich denn jetzt, dieser Ort war doch mein zweites Wohnzimmer.“ Dieses Schaufenster spiegelte den Geist der Buchhandlung, war oft Themen gewidmet, wie im August dem 75. Geburtstag des Schriftstellers Wolf Wondratschek. Ein Kunde fotografierte das Fenster und schickte das Foto an seinen Freund Wondratschek, der prompt reagierte: Er bedankte sich bei Katharina de Fries mit einem Bändchen aus seinem Werk, gewidmet und signiert. de Fries:„So etwas zählt zu den Sternstunden einer Buchhändlerin.“

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