Interview Düsseldorf braucht kreative Kunst

Düsseldorf · Der künstlerische Direktor der Kulturhauptstadt Essen, Karl-Heinz Petzinka, befürchtet, dass die Landeshauptstadt überheblich über die experimentelle Kultur des Ruhrgebiets hinwegsieht und damit eine Chance zur Profilierung als Kunstzentrum verpasst.

 Karl-Heinz Petzinka ist Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie und lehrt Baukunst.

Karl-Heinz Petzinka ist Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie und lehrt Baukunst.

Foto: RP, Thomas Bußkamp

Der künstlerische Direktor der Kulturhauptstadt Essen, Karl-Heinz Petzinka, befürchtet, dass die Landeshauptstadt überheblich über die experimentelle Kultur des Ruhrgebiets hinwegsieht und damit eine Chance zur Profilierung als Kunstzentrum verpasst.

Herr Petzinka, Sie sind als Düsseldorfer Architekt ins Ruhrgebiet gegangen. Wie kommen Sie mit der Kultur dieser Region zurecht?

Petzinka Das war für mich gewöhnungsbedürftig. An Düsseldorf mag ich eine bestimmte Art der Weltoffenheit, hier gibt es viele internationale Gäste, die die Szenerie beeinflussen. Es herrscht das Flair einer kleinen Großstadt. Nach meinem Sprung ins Ruhrgebiet empfand ich dort als Fremder alles erst einmal hässlich, die Straßenzüge, die Viertel, die Industriebrachen. Aber heute sehe ich das anders. Man hat dort einen ungeheuren Freiraum für kreatives Gestalten, ich habe viele Ideen entwickeln können und das Motto Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel ist eine echte Herausforderung. Aber wenn ich sehe, was dort in fünf Jahren alles entstehen kann, bekomme ich Freude an den kreativen Ideen für den Wandel des Reviers.

Woher kommt die Kreativität?

Petzinka Das Ruhrgebiet hat nur wenig Museen von internationalem Rang zu bieten, in denen große, anerkannte Kunst gezeigt wird. Wenn man mehr schaffen will, sind Experimente nötig, muss vieles ausprobiert werden. Deshalb haben kreative und unkonventionelle Ideen dort ihren Platz.

Die Stadt Düsseldorf hat Vorschläge von Kulturpolitikern abgelehnt, sich an Projekten der Kulturhauptstadt zu beteiligen. Was halten Sie davon?

Petzinka Eine solche Ablehnung mag typisch für die Sicht aus der wohlhabenden Rheinschiene sein. Journalisten und Kritiker lassen kein gutes Haar an den Experimenten im Programm der Kulturhauptstadt. Sie halten ihre Museen, Akademien und Einrichtungen der internationalen Klasse dagegen. Aber es ist ein Fehler, über die Wagnisse in der Kunst hinwegzusehen. Denn bei Experimenten werden Entdeckungen gemacht, gibt es neue Sichtweisen, die von der Norm abweichen. Von dieser Offenheit können alle profitieren. Die Diskussion über Kunst gehört doch in den öffentlichen Raum. Nur so wird Kultur zu beeinflussen sein.

Welche Chancen würde die Kulturhauptstadt "Essen für das Ruhrgebiet" denn Düsseldorf bieten?

Petzinka Düsseldorf ist mit seinem Flughafen und seinen vielen Hotels die Stadt, in der unsere internationalen Gäste der Kulturhauptstadt auch wohnen werden. Sie werden dort ein Lebensumfeld finden, das solide, qualitätsvoll und klar ist, auch was die Kunst betrifft. Bei den Fahrten ins Ruhrgebiet erleben die Gäste dann das unkonventionelle Besondere der Revierstädte, vor allem deren Kreativität, die sie notwendigerweise entwickelt haben. Düsseldorf könnte mit diesem Kontrast punkten, könnte den Gästen zeigen, dass sie auf engem Raum das alternativ Experimentelle und das Bewährte erleben können.

Damit wird aber die Konkurrenz zwischen Rheinschiene und Ruhrgebiet deutlich.

Petzinka Düsseldorf kann nicht mit der Kulturhauptstadt zusammengehen, weil die Gewichte zu unterschiedlich sind. Das noble Düsseldorf hat neben der großen Kunst weniger zu bieten, das Ruhrgebiet jetzt dagegen mehr mit Mut zum Experimentellen und Unerwartetem. Aber in einer Partnerschaft könnte Düsseldorf auf die andere spannende Szene hinweisen und umgekehrt. Düsseldorf könnte das Kreative in seiner Nachbarschaft für seinen Ruf als Kunstzentrum nutzen und sich damit beispielsweise auch leichter gegen andere Kunstmetropolen behaupten.

Ist Düsseldorf zu museal?

Petzinka Um das zu beschreiben, hilft ein Blick auf die Modemesse: Die hat nicht erkannt, das gut funktionierende Ausstellungsräume nicht reichen. Es müssen auch Emotionen erzeugt werden, beispielsweise in Showrooms eines kreativen Umfeldes. Auch dann lassen sich gute Geschäfte machen. Markus Lüpertz sagt daher, erst wenn Kunst öffentlich diskutiert wird, ist es überhaupt Kunst — alles andere ist bestenfalls museal.

Was wird in der Kulturhauptstadt beispielsweise öffentlich diskutiert?

Petzinka Es gibt eine Menge Projekte, die auch auf Ablehnung stoßen und deshalb diskutiert werden. Beispielsweise die Aufstockung des Museums Küppersmühle in Duisburg von Herzog & de Meuron, die einem riesigen Container ähnlich sieht. Oder der Herkules von Lüpertz auf dem Turm der Zeche Nordstern, den ich selbst geplant habe und ihn mit vier gläsernen Etagen aufstocken werde. Aber viele lassen sich auch von dem Sinn anderer Aktionen überzeugen. Berlin und München haben übrigens Zuschüsse für den Turm gegeben, der jetzt für Video-Installationen genutzt wird.

Was könnte Düsseldorf tun, um nicht den Anschluss zu verlieren?

Petzinka Das Tourismus-Management der Stadt müsste aktiv werden und ermöglichen, dass die verschiedenen Welten der Kunst zugänglich gemacht werden. Es könnten für die internationalen Gäste Fahrten zu den Projekten der Kulturhauptstadt und gleichzeitig Museumsbesuche in Düsseldorf organisiert werden, um so die Spannung zwischen dem Experimentellen und der etablierten Kunst kennenzulernen. Die vielen Förder- und Freundeskreise von Museen und Institutionen könnten Exkursionen anbieten zu einer Reihe von experimentellen Projekten, beispielsweise die Licht-Kunst-Installationen in 60 Privatwohnungen in sechs Städten. Oder die lebendige Route der Wohnkultur, wo in einem fast lebenden Museum über 150 Jahre die Wohnkultur in 14 Städten nach Themen organisiert im unmittelbaren Umfeld der Menschen zugänglich gemacht wird.

Die Projekte sind interessant, aber was geschieht nach dem Programm Kulturhauptstadt?

Petzinka Die Kulturwirtschaft im Ruhrgebiet muss mit den bestehenden Zentren koordiniert werden. Wir brauchen dringend Köpfe, die sich beraten, die Chancen ausloten, wie die unterschiedlichen Potentiale voneinander profitieren können. In Düsseldorf sind ja die Jahrhunderte alte Tradition von Kunsteinrichtungen als Wurzeln der Kunst eher spürbar, im Ruhrgebiet dagegen unbefangene, spontane und unkonventionelle Kreativität. Das muss zusammen gebracht werden.

Ein Beispiel?

Petzinka Wir Akademie-Professoren aus der Baukunstklasse vertreten keine Modenismen oder Moden. Im Gegenteil, die Baukunst hat Wurzeln, die eher in der Klarheit einer Idee oder Form zu finden sind. Was uns darüber hinaus beschäftigt, ist auch der Mut zum Experiment, gerade mit dem eben geschilderten Gestaltungsziel. Nun hat das Revier eine unglaubliche Fülle alter Industriearchitekturen, und es ist ein ungeheurer Spaß, aus diesen Transformationsarchitekturen zu entwickeln. Leider haben wir hier in Düsseldorf so gut wie keine solchen Experimentierfelder.

Welche Konsequenz muss Düsseldorf ziehen?

Petzinka Es wäre eine gute Möglichkeit, die unterschiedlichen Auffassungen zu vergleichen und zu bewerten. Denn die Entfernung zum Ruhrgebiet ist nicht groß. Das bedeutet aber auch, dass sich Rheinschiene und Ruhrgebiet als einen zusammenhängenden Kulturraum mit unterschiedlichen Gewichtungen begreifen. Düsseldorf könnte zum Motor werden, kann als Stadt der Künste so nur gewinnen.

Michael Brockerhoff führte das Gespräch

(RP)
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