Neu in der Stadtbibliothek Dinslaken Juli Zeh über die Selbstüberforderung des modernen Mannes

Die bekannte Schriftstellerin, Juristin und Journalistin Juli Zeh wurde den RP-Lesern schon 2016 mit ihrem zeitkritischen Gesellschaftsroman „Unterleuten“ vorgestellt. Nun hat sie einen überaus spannenden psychologischen Roman geschrieben, der die Identitätskrise des modernen Mannes beleuchtet: „Neujahr“.

Ronald Schneider über Juli Zehs Roman "Neujahr"
Foto: picture alliance / Erwin Elsner/Erwin Elsner

Schauplatz des Romans ist die Ferieninsel Lanzarote, wo Henning, ein Mann in der Mitte des Lebens, mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern um die Jahreswende Urlaub macht. Henning ist ein moderner, „emanzipierter“ Mann, dem sein Beruf als Sachbuch-Lektor genügend Zeit lässt, seine ebenfalls berufstätige Ehefrau bei der Kinderbetreuung und bei der Hausarbeit zu entlasten. Henning sollte sein erfülltes Leben im bürgerlichen Wohlstand genießen, doch er fühlt sich als fürsorglicher Vater ebenso wie als verständnisvoller Ehemann vor allem frustriert und überlastet. Und er leidet seit einiger Zeit unter Panikattacken, deren Ursache ihm rätselhaft ist.

Nach einem weiteren Angstanfall in der Silvester-Nacht macht er sich am Neujahrsmorgen auf eine strapaziöse Radtour, die ihn völlig erschöpft an einen Ort führt, wo er in ferner Vergangenheit als Junge mit seinen Eltern und mit seiner Schwester einmal die Ferien verbracht hatte. Hier beginnt eine Zeitreise in seine eigene Vergangenheit, die zum Horrortrip wird, die ihm am Ende aber auch Klarheit verschafft über die Herkunft seiner Probleme und die Wurzeln seiner Identität.

Juli Zehs Psychothriller mit gedanklichem Tiefgang überzeugt vor allem in seinem zweiten Teil, in dem die traumatische Erfahrung zweier wehrloser Kinder (Henning und seine Schwester) auf beklemmende Weise und höchst eindrücklich vergegenwärtigt wird. Thematisch wirft der Roman die Frage nach der Überforderung des Mannes durch die Übernahme traditionell weiblicher Aufgaben auf und nach den seelischen Konsequenzen der Verleugnung „männlicher“ Aktionsmuster und Reflexe. Die Antwort auf diese Fragen muss der Leser hier allerdings selbst geben. Vielleicht der beste Roman, den Juli Zeh bislang geschrieben hat!

Juli Zeh: Neujahr. Roman, Luchterhand Literaturverlag, 2018

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