Therapien gegen Long Covid Der lange Weg zurück in die Normalität

Essen · Viele Covid-19-Betroffene leiden noch Monate nach der Erkrankung an den Folgen. Reha-Zentren bieten jedoch erst seit Kurzem spezielle Long-Covid-Behandlungen an. Ein Besuch in einer Essener Fachklinik.

 Long-Covid-Patientin Assunta F. wird in der Fachklinik Rhein/Ruhr unter anderem mit Lichttherapie behandelt.

Long-Covid-Patientin Assunta F. wird in der Fachklinik Rhein/Ruhr unter anderem mit Lichttherapie behandelt.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Den 12. Mai wird Heike Herrmann nicht mehr vergessen. Es war der Tag, an dem die Dortmunderin, wie sie sagt, „aus dem normalen Leben gerissen wurde“. Ein Routine-Coronatest schlug bei ihr positiv an, am nächsten Tag klagte sie über Hals- und Gliederschmerzen, bald kamen Luftnot, Fieber, Übelkeit und Durchfall hinzu. Mehr als zwei Wochen litt die 39-Jährige unter akuten Symptomen, aber auch danach war an eine Rückkehr in den Alltag nicht zu denken. Bis heute ist Herrmann kurzatmig, jeder Schritt fällt ihr schwer. Diagnose: Long Covid. In der Essener Mediclin Fachklinik Rhein/Ruhr hofft die Patientin nun, Hilfe zu finden im langen Kampf gegen die Krankheit. Das Haus bietet seit rund vier Monaten eine Reha speziell für Post- und Long-Covid-Kranke an.

 Auf dem Flur der Station 6.2 sitzt Assunta F. unter einer in die Decke eingelassenen Flutlichtlampe. Mit der Lichttherapie sollen die Patientinnen und Patienten der Long-Covid-Station stimuliert werden, erzählt Stationsleiter Christoph Gierlata. Viele leiden unter Schlafstörungen und unter dem sogenannten Fatigue-Syndrom, das heißt, sie fühlen sich auch tagsüber permanent müde und abgekämpft. Mit der Lampe kann Tageslicht in verschiedenen Abstufungen simuliert werden, morgens leuchtet es am hellsten. Wie jetzt. Assunta F. wirkt sehr wach und aufgeräumt, wenn sie von ihrer Covid-Erkrankung erzählt. Mitte Oktober hatte sie es erwischt, den Verlauf vergleicht die 41-Jährige mit einem grippalen Infekt. „Ich habe das auf der Couch auskuriert“, sagt sie. Danach war die Infektion zwar verschwunden, aber die Symptome blieben. Unter anderem anhaltende Erschöpfung, Muskelschmerzen, Konzentrationsstörungen. Arbeiten für sie seither: unmöglich.

Professor Mario Siebler, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Fachklinik für Neurologie, kennt die Sorgen dieser Patienten sehr genau. Viele Hausärzte wüssten nicht weiter, wenn es um Long Covid gehe, und am Arbeitsplatz fühlten sich die betroffenen Patienten oft als Simulanten ausgegrenzt. „Das liegt auch daran, dass wir die Krankheit noch nicht lange kennen“, sagt Siebler, „und wir in vielerlei Hinsicht unser medizinisches Wissen dabei nicht ohne weiteres anwenden können.“ Mehr als 50 Symptome seien bislang bekannt, die mit dem Post- und Long-Covid-Syndrom zusammenhängen könnten. Ein Hauptsymptom ist die Luftnot, ein anderes eben das Fatigue-Syndrom, die dauerhafte Abgeschlagenheit. „Das betrifft auch die Konzentration und das Gedächtnis“, sagt Siebler. „Betroffene beschreiben es oft als Nebel im Kopf. Sie können dann nicht mehr arbeiten und haben Angst davor, nicht mehr gesund zu werden.“

Professor Mario Siebler, Chefarzt der Fachklinik für Neurologie, ist zuständig für die Behandlung der Long-Covid-Patienten.

Professor Mario Siebler, Chefarzt der Fachklinik für Neurologie, ist zuständig für die Behandlung der Long-Covid-Patienten.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

 Das Problem: Wie behandelt man ein derart komplexes Krankheitsbild, das sich zudem nur bedingt mit Messdaten belegen lässt? Siebler erzählt, dass man im Mediclin-Konzern dazu eine Expertenrunde versammelt hat  – mit Lungenfachleuten, HNO-Spezialisten, Neurologen, Psychiatern, Psychosomatikern und Kardiologen. Gemeinsam wurden eine Symptomliste entwickelt und Behandlungsprofile ausgearbeitet. Denn meist würden die Patienten mehrere Krankheitsanzeichen aufweisen. „Wir müssen eine Logik in die Therapie reinbringen, dort ansetzen, wo es am sinnvollsten ist“, sagt Siebler. Über neuropsychologische Tests am Computer lasse sich zum Beispiel die Belastbarkeitsgrenze austesten, und so könne man zugleich objektivierte Daten erfassen. Denn das ist am Ende entscheidend für einen therapeutischen Erfolg: Daten zu bekommen, die Krankheit vermessen und damit objektivieren zu können.

 Assunta F. und Heike Herrmann haben von den Behandlungsmethoden schon profitiert, wie sie erzählen. „Anfänglich war ich beim Gehtraining nach 1000 Schritten erschöpft“, sagt Assunta F., „nun schaffe ich schon 4000 Schritte.“ Dazu absolviert die Kölnerin, die als Hygienefachkraft in einem Krankenhaus arbeitet, noch Konzentrationsübungen. Im Gespräch mit Neuropsychologin Carina Wesemann lernt sie zudem, Pausen im Alltag so einzusetzen, dass sie sich nicht überfordert. „Es geht darum, auf seine Grenzen zu achten, um seine Konzentration zu erhalten“, sagt Wesemann. Seit zwei Wochen absolviert Assunta F. mittlerweile die Reha, vier Wochen könnten es werden, sagt sie. Ihr Ziel: „Endlich wieder arbeiten zu können.“

  Long-Covid-Patientin Heike Herrmann (l.) mit Physiotherapeutin Sabine Wolff bei Atemübungen.

 Long-Covid-Patientin Heike Herrmann (l.) mit Physiotherapeutin Sabine Wolff bei Atemübungen.

Foto: jis

 Darauf hofft auch Mediziner Siebler. Noch aber fehlen Daten, um die Therapieerfolge zu bilanzieren. Schön wäre es, wenn man Patienten zwei Monate früher ins Berufsleben zurückbringen könnte, sagt der Mediziner. Aber auch in dieser Hinsicht mangelt es an Vergleichsdaten, eine Datenbank wird gerade aufgebaut. Parallel zur Behandlung wird also geforscht, wie die Therapie wirkt, um sie permanent zu verbessern. Siebler ist jedoch überzeugt, dass eine Reha auf jeden Fall hilft. „Dort findet man kompetente Ansprechpartner, und man kann sich mit anderen Betroffenen austauschen“, sagt er. „Es hilft enorm zu sehen, dass andere ähnliche Probleme haben.“

 Bis zu 15 Post- und Long-Covid-Kranke kann die Essener Fachklinik aufnehmen, die insgesamt rund 450 Patienten betreut. Als Post-Covid werden die ersten acht Wochen nach der Genesung bezeichnet, Long Covid umfasst den Zeitraum danach. Rund 70 Prozent der Patienten seien unter 60, der jüngste war 21 Jahre alt, sagt Siebler. Frauen und Männer seien gleichermaßen betroffen, wobei Menschen mit einem schweren Verlauf häufiger ein Long-Covid-Syndrom entwickeln würden. Allerdings glaubt der Mediziner, dass der Anteil der Long-Covid-Kranken deutlich geringer ist als bislang vermutet. „Die Bundesregierung spricht von zehn Prozent der Infizierten, ich gehe aber höchstens von einem Prozent aus“, sagt Siebler. „Allerdings melden sich auch viele Betroffene nicht.“

 Heike Herrmann gehört zu den Patientinnen, die besonders schwer unter der Krankheit leiden. Sie erzählt, dass sie daheim während des Frühstücks immer wieder einschlafe, so müde sei sie. Dazu kommen anhaltende Luftnot, Geruchs- und Geschmacksverlust, und, ebenfalls schlimm, Haarausfall. „Jedes Mal, wenn ich mir durch die Haare streiche, habe ich ein Büschel in der Hand“, sagt sie. Herrmann vermisst ihr normales Leben und lernt in der Therapie wieder, sich körperlich zu belasten, beim Krafttraining, beim Schwimmen, auf dem Ergometer. „Mittlerweile komme ich etwas besser über den Flur“, sagt sie, „bis ich mit meinem Patenkindern herumtoben kann, wird es aber noch etwas dauern.“

 Siebler versucht, auch die Kolleginnen und Kollegen über die Ärztekammer dafür zu sensibilisieren, Long-Covid-Betroffene vermehrt in die Reha zu schicken. Immer mehr Kliniken bieten entsprechende Therapien, auch aus dem Ausland erreichen die Essener mittlerweile Anfragen nach freien Plätzen. Der Bedarf sei auf jeden Fall da, und daran werde sich so schnell nichts ändern. „Ich glaube, dass wir diese Behandlungsmöglichkeiten noch einige Zeit brauchen“, sagt Siebler. „Covid und damit das Long-Covid-Syndrom werden uns in den kommenden fünf, sechs Jahren weiter beschäftigen.“

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