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Rot-Grün Lehrer gegen NRW-Schulversuche

Harte Vorwürfe gegen Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) beim NRW-Schulgipfel: Lehrerverbände nennen ihre Reformpläne "unfair" und "lächerlich". Die Konferenz endete ohne greifbare Ergebnisse. Arbeitsgruppen sollen strittige Fragen klären - etwa die Einführung von Gemeinschaftsschulen.

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Foto: ddp

Die wehenden Fahnen vor dem NRW-Schulministerium können nicht darüber hinwegtäuschen: Das ganze Gelände ist eine einzige Baustelle. Grund ist der Neubau des Landeskriminalamts nebenan. Das bedeutet Dreck, Staub, Sand überall — und ist ein schönes Sinnbild für die politische Riesenbaustelle, die Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) aufgemacht hat: die Reform des nordrhein-westfälischen Schulsystems. Zur "Bildungskonferenz" hatte Löhrmann gestern in ihr Haus geladen, um gleichsam die Baugruben der Bildungspolitik in Augenschein zu nehmen. Sie heißen Turbo-Abitur, Gemeinschaftsschule, Kopfnoten, Schulbezirke, freie Schulwahl.

Löhrmann und rund 50 weitere Gipfelteilnehmer — Abgeordnete, Gewerkschafter, Lehrer, Eltern, Kirchenvertreter und Migranten — einigten sich in dreistündigen Beratungen darauf, die Gespräche fortzusetzen. Arbeitsgruppen sollen sich mit einzelnen Themen wie der besonders umstrittenen Gemeinschaftsschule befassen und konkrete Lösungen erarbeiten.

Hinter geschlossenen Türen gab es viel Kritik an Löhrmanns Plänen. Doch überwog nach Angaben von Teilnehmern ein Gedanke: NRW braucht einen Schulkonsens, und zwar einen, der länger trägt als eine Legislaturperiode, wie Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung betonte.

Sie hoffe, in einem halben Jahr eine "Verständigung" zu erreichen, sagte Löhrmann nach der Konferenz. Ihr Eindruck sei, dass es sich lohne weiterzudiskutieren. Über die drängenden Themen herrsche zudem Einigkeit. Greifbarere Ergebnisse gab es nicht.

Für den Kern von Löhrmanns geplanter Schulreform — die möglichst flächendeckende Einführung der Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder mindestens bis zur sechsten Klasse zusammen lernen — ist daher nach wie vor der Weg durchs Parlament versperrt, denn Rot-Grün fehlt im Landtag eine Stimme zur Mehrheit.

Löhrmann will daher den Umweg über Paragraf 25 des Schulgesetzes nehmen. Der sieht "Schulversuche" vor, um "das Schulwesen weiterzuentwickeln". Die Ministerin will so auf Antrag neue Gemeinschaftsschulen genehmigen — ohne dass der Landtag zustimmen muss. "Man kann so ein wichtiges Thema nicht über Schulversuche lösen", kritisierte nach der Konferenz Peter Silbernagel, Chef des Philologenverbands NRW: "Damit schafft man unumkehrbare Fakten. Zugleich zieht sich das Land aus der schulpolitischen Verantwortung." Klar sei aber auch, dass es Veränderungen in der Schulstruktur geben müsse — als Reaktion auf sinkende Schülerzahlen.

Rot-Grün werde keine Schulform abschaffen, sagte Löhrmann erneut. Eine Bestandsgarantie für die Gymnasien in NRW gab sie aber auch gestern nicht — für Silbernagel Grund genug, die weitere Teilnahme des Philologenverbands in Frage zu stellen: "Löhrmann hat im vergangenen Jahr gesagt, ihr Ziel sei die eine Schule für alle. Davon muss sie abrücken." Man habe auf eine "Zusage" zugunsten der Gymnasien gehofft, sagte Ralf Witzel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion: "Diese Zusage ist leider nicht gemacht worden." Löhrmann hatte stattdessen in einem Interview vor der Konferenz gesagt, ein Vetorecht einzelner Schulen gegen die Einführung von Gemeinschaftsschulen könne es nicht geben. Löhrmann reformiere die Schulstruktur "am Gesetz vorbei", kritisierte Brigitte Balbach, Chefin des Verbands Lehrer NRW. Das sei "unfair". Sorgen machen sich auch die Kreise: "Es darf nicht dazu kommen, dass bei der Bildung von Gemeinschaftsschulen benachbarte Schulen ausbluten", forderte Martin Klein, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags. Zudem solle das Land auch finanziell Verantwortung übernehmen: "Wer bestellt, muss auch zahlen."

Ebenfalls als Schulversuch gemäß Schulgesetz soll die teilweise Rücknahme der gymnasialen Schulzeitverkürzung ("Turbo-Abitur") laufen. Löhrmann hat bereits angekündigt, bis zu zehn Prozent der Gymnasien in NRW dürften im Zuge eines Schulversuchs für 2011 die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G 9) beantragen. Die Rückkehr zum bewährten G 9 als Schulversuch zu deklarieren, sei "lächerlich", kritisierte Silbernagel. Auch Udo Beckmann, Chef des Rot-Grün näherstehenden Verbands Bildung und Erziehung, sagte, man könne nicht "alle Veränderung mit Schulversuchen begründen".

So bleibt zur unmittelbaren Umsetzung der bunte Strauß des "Sofortprogramms" aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag: Abschaffung der Kopfnoten, Stärkung der Rechte von Schülern und Eltern in den Schulkonferenzen ("Drittelparität"), Erlaubnis zur Wiedereinführung der Grundschulbezirke, Abschaffung der verbindlichen Lehrergutachten am Ende der Grundschule. All das hat Rot-Grün bereits in einem Gesetzentwurf zusammengefasst; die Linke hat einzelne Gesetzentwürfe zu denselben Themen eingebracht. Rot-Grün und die Linke versuchen derzeit im Schulausschuss, ihre Entwürfe so aufeinander abzustimmen, dass eine Zustimmung der Linken zu den rot-grünen Schulplänen oder zumindest eine Enthaltung möglich wird.

Zwar ist die Linke im Schulausschuss mit zwei Hardlinern vertreten: Fraktionschefin Bärbel Beuermann und DDR-Nostalgikerin Gunhild Böth. Dennoch stehen die Chancen auf eine Verständigung nicht schlecht, denn groß sind die Unterschiede in den Gesetzentwürfen nicht. "Hundertprozentig" werde es eine Einigung geben, prophezeit Silbernagel. Es wäre die erste rot-rot-grüne Kooperation der Legislaturperiode.

Vor einer Entscheidung soll es allerdings noch eine Experten-Anhörung geben. "Wer weiß", sagt SPD-Fraktionsvize Renate Hendricks, die ebenfalls im Ausschuss sitzt: "Vielleicht macht die CDU dann doch noch mit." Das gilt allerdings als unwahrscheinlich — schließlich hatte die schwarz-gelbe Regierung Rüttgers selbst die Grundschulbezirke abgeschafft, die Verbindlichkeit der Lehrergutachten erhöht und Kopfnoten eingeführt.

"Die große Frage, die Strukturfrage, bleibt ungelöst", bilanzierte gestern Klaus Kaiser (CDU). Auch wenn die schulpolitische Baugrube "Sofortprogramm" in rot-rot-grünem Einvernehmen geschlossen wird — die Baustelle "Schulstruktur" wird der Schulministerin auf unabsehbare Zeit erhalten bleiben.

(RP)
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