Irland Die Ponys der Piratenkönigin

Jenseits der Seen Lough Corrib und Lough Mask liegt einer der letzten Rückzugsorte des Irischen. Connemara ist ein Land uralter Mauern und Mythen.

Ein Connemara-Pony vor Ashford Castle

Ein Connemara-Pony vor Ashford Castle

Foto: Win Schumacher

Hier oben also soll sie sich versteckt haben – Grace O‘Malley, die Königin der Piraten. Die Berge hinter den dunklen Wassern des Lough Corrib sind an diesem späten Morgen wolkenlos. Friedlich liegt der größte See der Republik Irland unter einem raren vergissmeinnichtblauen Himmel. Auf der „Isle of Innisfree“ fühlen sich die Passagiere heute ganz und gar nicht wie im Fahrwasser von sturmgepeitschten Piratenschiffen. Geruhsam tuckert das Ausflugsboot der Heimat der mythischen Freibeuterin entgegen. Gráinne Mhaol, wie die Iren ihre Königin der See von Connemara nennen, soll mit dem Bergland im Rücken ihre Raubzüge entlang der Küste unternommen und den Eroberungsgelüsten der Engländer jahrzehntelang die Stirn geboten haben.

„Sie ist eine Ikone der Iren“, sagt David Luskin, „Ihr Land hat für uns bis heute eine besondere Bedeutung. Connemara ist ein Ort der Legenden.“ Gemeinsam mit seinem Bruder Patrick fährt Luskin die „Isle of Innisfree“ über den riesigen See. „Wir sind selbst Nachfahren von Grace O‘Malley“, sagt Lutkin stolz. Die um 1530 als Tochter eines Clanchefs geborene Piratin war nicht nur als Seeräuberin eine ungewöhnliche Frau ihrer Zeit im Irland des 16. Jahrhunderts. Sie war auch eine der wenigen, die als Gegenspielerin von Königin Elisabeth I. ihre Heimatregion verteidigte.

Connemara zieht sich westlich des Lough Corrib bis zur Atlantikküste. Glitzernde Seen, Hügel mit verstreuten Bauernhäuschen, Dolmen und Menhire geben Connemara den Anschein einer Region, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat. Um die Twelve Bens oder Na Beanna Beola, wie der auf 730 Meter ansteigende Gebirgszug Connemaras auf Irisch genannt wird, haben sich Traditionen erhalten, die im Rest der Insel längst verschwunden sind. Der wilde Westen der Provinz Connacht zählt auch zu den letzten der Insel, wo im Alltag noch immer Irisch gesprochen wird. Die Region Galway gilt als die bedeutendste der Gaeltacht-Regionen. So nennen die Iren sieben Gegenden, in denen die keltische Sprache noch verstärkt gesprochen und besonders gepflegt wird.

„Wir wissen, wie entscheidend das Irische für unsere Identität ist“, sagt Mary O‘Loughlin, „es macht die Region besonders. Die Menschen hier lieben das Land und halten an alten Traditionen fest.“ Die 43-Jährige streicht in ihrem Reitstall unweit des Dörfchens Cong einem Connemara-Pony über die wuschelige Mähne, das bereits für einen Ausflug gesattelt ist. O‘Loughlin züchtet die kleinen Pferdchen, die früher oft auch halbwild in den Mooren und an den kargen Berghängen Connemaras lebten.

Von ihrem Pferdehof inmitten eines alten Waldes führen Reitwege über Hügel mit saftig grünen Schafweiden. Wer will, kann vom Lough Corrib quer durch Connemara bis zur Atlantikküste reiten. „Wie könnte man die Gegend schöner erkunden als auf dem Rücken eines Connemara-Ponys?“, fragt O‘Loughlin, „Die Tiere können eigenwillig sein, meist aber ausgeglichen, genügsam und vielfältig als Reit- und Springpferde einsetzbar.“ Über den Ursprung der irischen Pony-Rasse, die sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen geritten werden kann, gibt es viele Theorien. Immer wieder wird erzählt, dass sich wilde Ponys Connemaras mit edlen Andalusiern gekreuzt haben, die sich beim Untergang eines Kriegsschiffs der Spanischen Armada 1588 auf das Festland retten konnten. „Jedenfalls erinnern viele äußerlich an Araber“, sagt die Züchterin.

Entlang des Ufers von Lough Corrib erreicht O‘Loughlin die weiträumigen Parkanlagen von Ashford Castle. Ashford hat eine 800 Jahre lange Geschichte. Zu Lebzeiten von Grace O‘Malley war das Schloss nicht viel mehr als ein trutziger Wehrturm. 1228 von Anglonormannen errichtet, wurde es im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild französischer Châteaus ausgebaut. 1852, nach der großen Hungersnot in Irland, erwarb es Benjamin Lee Guinness von der berühmten irischen Bierbrauer-Dynastie und ließ es im viktorianischen Stil ausbauen.

„Sein Sohn Arthur Guinness war besessen davon, Teil der Adelsgesellschaft des Vereinigten Königreichs zu werden“, erzählt Finton O‘Gorman auf einem Schlossrundgang. Kaum einer kennt die bewegte Geschichte des Anwesens besser als der pensionierte Direktor der nahen Dorfschule. „Der Brauereierbe wollte aus Ashford ein Treffpunkt der High Society machen.“ Dem Guinness-Sprössling gelang es, den Adel zu Jagd- und Fischausflügen in sein pompöses Schloss zu locken.

Von der Parkanlage führt der Hobbyhistoriker seine Gäste durch die altehrwürdige Eingangshalle mit ihrer Eichenholzballustrade in den Con­naught-Saal, wo seit 1868 bis heute der Afternoon Tea serviert wird. „Kaum ein anderes Haus Irlands hat so viele berühmte Persönlichkeiten gesehen“, sagt O‘Gorman. „Und zu vielen gibt es eine eigene Geschichte.“ Oscar Wilde, dessen Familie ganz in der Nähe ein Ferienhaus hatte, soll Lady Ardilaun zum Gärtnern bekehrt haben, so erzählt eine Anekdote aus dem Schloss.

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