Israel Alpakas in der Wüste

Die staubig-steinige Negev-Wüste hat Israels Staatsgründer David Ben-Gurion einst besiedeln lassen wollen. Dass eine Herde Alpakas und ein Militärcamp dazukommen würden, hatte er wahrscheinlich nicht im Sinn.

 Was aussieht wie ein Bild aus den Anden, ist tatsächlich ein Foto aus Israel. Diese Alpakas leben in der israelischen Negev-Wüste im Süden des Landes.

Was aussieht wie ein Bild aus den Anden, ist tatsächlich ein Foto aus Israel. Diese Alpakas leben in der israelischen Negev-Wüste im Süden des Landes.

Foto: Anna Karolina Stock

Feiner Sand wirbelt in Richtung des blauen Himmels. Die Mittagssonne versengt das letzte Grün. Schon am frühen Morgen sind die Wanderer losgezogen, doch bei mittlerweile 45 Grad wünschen sie sich nichts mehr als eine kalte Dusche. An ihrer Spitze steuert ein Alpaka gemütlich trottend in Richtung Heimat.

Eine Wanderung in den südamerikanischen Anden? Könnte man meinen, denn wo sonst sollte es Alpakas geben? In fragende Gesichter schauen Naama und Ilan Dvir wohl immer wieder, wenn sie von ihrer Alpaka-Farm bei Mitzpe Ramon, einer Kleinstadt in der zentralen Negev-Wüste, erzählen. Unerwartet und ungewöhnlich ist ihre Geschichte: Nach dem Militärdienst lernten sie sich in den 1980ern in Sde Boker kennen. Bis heute ist Israel eines der wenigen Länder, das die Wehrpflicht für Frauen vorsieht. Die beiden verliebten sich und brachen nach Südamerika auf. Als sie in den peruanischen Anden auf Alpakas trafen, war es Liebe auf den ersten Blick – und die Geburtsstunde einer neuen Idee: Im Jahr 1987 kehrten sie mit einer Herde aus 150 Alpakas und 30 Lamas nach Israel zurück.

Seitdem ist ihre kleine Farm deutlich gewachsen. Neben 234 Alpakas und 37 Lamas springen Angoraziegen, Pferde und sogar ein deutsches Hausschwein auf dem Hof herum. In der dazugehörigen Wollfabrik wird die Alpakawolle verarbeitet und dann im farmeigenen Shop oder in Tel Aviv verkauft. „Für Gäste aus der Stadt, die sich nach Ruhe und Urlaub auf dem Bauernhof sehnen, ist unsere Farm genau das Richtige“, betont Naama stolz. Gerade für Kinder sei sie ein Paradies. Sie können beim Füttern und Ausmisten helfen, reiten und sich auf dem ganzen Gelände frei bewegen.

 Naama Dvir leitet mit ihrem Mann Ilan die Alpaka-Farm in der Negev-Wüste.

Naama Dvir leitet mit ihrem Mann Ilan die Alpaka-Farm in der Negev-Wüste.

Foto: Anna Karolina Stock

Die Nähe zu Mitzpe Ramon sei für die Alpaka-Farm von Vorteil. Viele Reisende, die auf der Hauptstraße 40 von Be’er Scheva Richtung Süden fahren, halten spontan an. Einige bleiben sogar mehrere Nächte. „Wir können von Glück reden, dass der größte Erosionskrater der Welt unser Nachbar ist“, sagt Naama lachend. Im Gegensatz zu den meisten Kratern, die durch Vulkane oder Meteoriten entstanden sind, hat sich der Ramon-Krater über Jahrmillionen von Jahren durch Erosion gebildet. Das als Naturreservat ausgeschriebene Gebiet spricht vor allem Aktivurlauber an, die gerne wandern, biken oder klettern gehen. Temperaturen von 20 bis 25 Grad sorgen selbst in den Wintermonaten für angenehme Bedingungen, um die Etappen des 1000 Kilometer langen Israel National Trails zu bezwingen.

Schon vor 20 Jahren strebte die israelische Regierung an, land- und tourismuswirtschaftliche Betriebe entlang der Weihrauchstraße – die vom heutigen Oman durch den Negev und Gaza bis nach Damaskus führte – anzusiedeln und die Wüste in alter Blüte aufleben zu lassen. Auch Lea und Gadi Nahimov entschieden sich für ein Leben inmitten von Sand und Geröll und legten 2003 den Grundstein für ihre Naot Farm. Mit einem Zelt und 15 Zicklein fing das Wüstenabenteuer an. Inzwischen sind es 500 Ziegen und ein paar Schafe. Aus ihrer Milch stellen sie Käse her: Manchego, Camembert, Kaschkawal und viele mehr.

„Die Negev-Wüste ist alles andere als öde“, bekräftigt Dan Levi. Ihre 12.000 Quadratkilometer bedecken flächenmäßig fast zwei Drittel des Landes und haben auf den gebürtigen Jerusalemer eine ganz besondere Wirkung: „Die Wüste ist nicht nur shanti shanti, wie man in Indien sagen würde. Sie zieht dich an, nimmt dich ein und fasziniert immer wieder aufs Neue.“ Nach 28 Jahren in der Hauptstadt brauchte Dan einen Tapetenwechsel und entschied sich für Mitzpe Ramon. „Jerusalem ist voll von Religion und von Leuten, die glauben, ihre Meinung sei die einzig richtige.“ Er habe den Dialog zwischen den Menschen vermisst und den Glauben an Veränderung. Mit der Übernahme des me’ever, einer Kultur- und Eventlocation mitten im Künstlerviertel von Mitzpe Ramon, fand seine Suche ein Ende.

Neben Dan verschlug es auch zahlreiche Künstler und Gastronomen in das „Woodstock der Wüste“ – ganz im Sinne von David Ben-Gurion, Israels erstem Ministerpräsidenten. Für den Zionisten lag Israels Zukunft schon immer in der Wüste. Mit der Devise „Ein Land, das man nicht vollständig nutzt, kann man im Angriffsfall auch nicht verteidigen“ appellierte er in den 30er Jahren an seine Landsleute, die Negev zu besiedeln. Im Zuge dieses Aufrufs entstanden die bis heute existierenden Kibbuzime Mashabei Sadeh und Sede Boker, in dem sich der Staatsmann nach seinem Rücktritt im Jahr 1953 mit seiner Frau Paula niederließ und 20 Jahre später auch begraben wurde.

Fälschlicherweise könnte hier der Eindruck entstehen, dass die Negev bis dahin nur eine unbewohnte Einöde war. Ganz im Gegenteil, schon vor 2000 Jahren bewohnten die Nabatäer die Wüstenstädte Haluza, Mamshit, Avdat und Shivta und handelten entlang der Weihrauchstraße mit Gewürzen. Dank ihrer ausgeklügelten Wasserauffang- und -leitungssysteme, welche heute als Sturzwasserlandwirtschaft bekannt sind, konnten sie fast 80 Prozent der Wüste landwirtschaftlich nutzen. Heutzutage hat sie auch eine militärische Funktion. Ungefähr 30 Kilometer südlich von Be’er Scheva wächst seit 2002 der größte Militärstützpunkt des Landes. Die israelische Armee schickt ihre Soldaten schon seit vielen Jahren zur Ausbildung in die Wüste. Da bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsräumen an der Küste Mangelware ist, wird immer mehr Infrastruktur in die Negev verlagert. Bis 2021 sollen rund 20.000 Soldaten ihren Militärdienst in der Wüste ableisten. Und viele von ihnen – so die Hoffnung – sollen mitsamt ihren Familien da bleiben.

Obwohl Ben-Gurions Vision langsam in Erfüllung geht, hat die systematische Erschließung der Wüste auch ihre Kehrseite. Seit Jahrhunderten ist sie Heimat und Zufluchtsort für israelische Beduinen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation ACRI leben rund 230.000 Beduinen im heutigen Israel, circa 40 Prozent von ihnen in nicht registrierten Siedlungen. Letztere werden von der israelischen Regierung nicht anerkannt und weder mit Strom noch Wasser versorgt. Um zu verhindern, dass die Nomaden willkürlich Land besetzen, plant die Regierung Zwangsumsiedlungen von zehntausenden Beduinen in eigens dafür errichtete Städte. Umm al-Hiran beispielsweise, eines der 35 nicht-anerkannten Beduinendörfer im Negev, erlangte Anfang 2017 traurige Berühmtheit: Bei der von der Polizei durchgeführten Zwangsräumung und dem Abriss mehrerer Gebäude kamen ein Zivilist und ein Polizist ums Leben. Das Dorf wurde inzwischen vollständig geräumt, an seiner Stelle wird nun das Dorf Chiran errichtet – ausschließlich für jüdische Staatsbürger.

Nichtsdestotrotz hoffen Nasim und seine Familie aus dem Yahhala Camp bei Sede Boker, dass sie ihr Leben in der Wüste fortführen können. Der aufstrebende Tourismus soll dabei helfen. Immer mehr Beduinencamps öffnen ihre Zelte für Touristen, bieten Wüstentouren, Übernachtungen im Beduinenzelt oder handwerkliche Produkte zum Verkauf an. Die Wüste war schon immer ihr Leben und soll es auch in Zukunft bleiben.

Die Reise wurde unterstützt vom Staatlichen Israelischen Verkehrsbüro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort