Schlafforscher räumt mit Vorurteilen auf Probleme mit der Zeitumstellung?

Düsseldorf · Die Zeitumstellung fällt dem menschlichen Organismus leichter, als viele glauben. Eine Stunde nach vorn oder nach hinten sei allenfalls ein "Mini-Jetlag, der relativ wenig Einfluss auf den Körper hat", sagt Dieter Kunz von der Schlafmedizin-Abteilung des Berliner St.-Hedwig-Krankenhauses. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit biologischen Rhythmen, den Vitalitäts- und Leistungsschwankungen, die Menschen erleben.

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Winterzeit - 13 Fakten zur Zeitumstellung

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Foto: dpa/Elise Amendola

Kunz ist überzeugt, dass es bei der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit sogar mehr Menschen gibt, die das als positiv empfinden. Wobei dies nicht daran liegt, dass der Homo sapiens, wie viele glauben, biologisch eigentlich auf einen 25-Stunden-Takt geeicht ist und daher logischerweise vom Zurückstellen der Uhr erst einmal profitieren muss. Denn diese Theorie gilt als überholt, die meisten Menschen sind nicht nur gesellschaftlich, sondern auch biologisch auf den 24-Stunden-Zyklus getaktet.

Der tatsächliche Grund dafür, dass viele vom Zurückstellen der Uhr profitieren, liegt darin, dass unter uns weitaus mehr Eulen als Lerchen leben. Unter Eulen versteht man die chronobiologischen "Spättypen", deren innere Uhr dem konventionellen Tagesablauf etwas hinterher hinkt. Diese Morgenmuffel und Spät-ins-Bett-Geher gehören daher zu den Nutznießern des herbstlichen Stunden-Geschenks.

Ihr Anteil an der Bevölkerung wird auf etwa 20 Prozent geschätzt, während die lerchenhaften Partymuffel und Frühaufsteher gerade mal auf 10 Prozent kommen. Das heißt also: Nur jeder Zehnte bekommt wirklich Probleme, wenn im Oktober die Uhren zurückgestellt werden. Die anderen hingegen spüren nur wenig — oder aber, sie fühlen sich dabei sogar besser.

Frauen reagieren nach einer Umfrage der Krankenkasse DAK sensibler als Männer auf die Zeitumstellung. Sie brauchen auch länger, um sich daran zu gewöhnen. DAK-Ärztin Susanne Bleich vermutet dahinter aber keine physiologischen Hintergründe. Es sei vielmehr so, dass Frauen "generell sensibler auf Veränderungen ihres Körpers reagieren".

Bleibt die Frage, ob auch die Lerchen den Wechsel auf die Winterzeit erträglich für sich gestalten können. Kunz empfiehlt, den Körper ausreichend dem natürlichen Wechsel von Licht und Dunkelheit auszusetzen. Denn dadurch lasse sich die Ausschüttung des für den biologischen Rhythmus wichtigen Hormons Melatonin positiv steuern: Sie wird im Hellen gedrosselt und in der Finsternis angeregt.

"Besonders wichtig ist hier das Licht am Vormittag und die Dunkelheit in den frühen Abendstunden", sagt Kunz, der zu vermehrten Spaziergängen rät, um den Organismus auf Winterzeit umzustellen. Umstellungsschwierigkeiten mit Medikamenten zu begegnen, hält Kunz "für weit übertrieben".

In Russland ist die Frage nach der richtigen Zeit für die Menschen ein nationales Ärgernis. Wenn im übrigen Europa die Uhrzeiger um eine Stunde zurückgestellt werden, schauen viele Russen müde und neidvoll zu. Seit der Kreml vor einem Jahr die "ewige Sommerzeit" anordnete, klagen viele Menschen in den kalten und dunklen Wintermonaten, sie seien nicht ausgeschlafen oder fühlten sich abgeschlagen. Auch Kremlchef Wladimir Putin räumte ein, dass er Probleme mit dem Aufstehen habe.

(RP/pst/csi/jre)
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