Problem von Allergikern Irgendwas blüht immer

Düsseldorf · Mancher hat nie Kummer gehabt, doch jetzt ist er plötzlich Allergiker geworden. Heuschnupfen ist ein zentrales Thema nicht nur in diesen Tagen.

 Eine Hänge-Birke (Symbolbild).

Eine Hänge-Birke (Symbolbild).

Foto: Patrick Pleul/dpa

Mancher hat nie Kummer gehabt, doch jetzt ist er plötzlich Allergiker geworden. Heuschnupfen ist ein zentrales Thema - nicht nur in diesen Tagen. Ein neuer, regionaler Heuschnupfen-Atlas soll Betroffenen helfen.

Ich hatte nie damit zu tun und hielt alle Leute, die über diese Plage jammerten, für Simulanten. Die sollten sich mal nicht so anstellen! So dachte ich. Das war hochmütig und voreilig. Denn jetzt hat auch mich der Kitzelgeist der Allergien gepackt. Seit dem vergangenen Jahr niese ich an manchen Tagen, und das ist nicht lustig. Hatschi!

Früher machte ich dreimal Hatschi hintereinander, und dann war es gut. Bei manchen Rotweinen machte ich acht Mal Hatschi und schob es auf die Tannine. Heute mache ich 25 Mal Hatschi hintereinander, und das ist erst der Anfang. Ich muss mich mit dem Gedanken vertraut machen, dass ich zum Allergiker geworden bin.

Natürlich gibt es Empfehlungen aus allen Ecken. Nimm doch eine Cetirizin!, sagt ein Leidensgenosse. Sage ich: Ich habe heute schon zwei genommen, und die Dinger hauen mich um wie die Faust von Mike Tyson. Wenn ich sie abends nehme, schlafe ich wenigstens gut, aber morgens beim Aufstehen geht das Theater wieder los.

Auf Birke reagierende Menschen haben auch mit rohen Äpfeln Ärger

Ich muss nur nach draußen aufs Auto und auf die Fensterbank gucken, schon weiß ich Bescheid. Früher haben wir im Vollbesitz unserer allergologischen Unkenntnis gerufen: Sahara-Sand! Jetzt weiß ich es besser: Blütenstaub.

 Der Pollenkalender.

Der Pollenkalender.

Foto: Deutscher Polleninformationsdienst; Grafik: Ferl

Die Birkenpollen sind los - und die sorgen bei Allergikern derzeit für rote Augen und triefende Nasen. Schuld daran tragen die nach einer langen Kälteperiode teils sprunghaft gestiegenen Temperaturen. Dieser Tage - es war noch April, wir erinnern uns - gab es im Rheinland schon knapp 30 Grad. Für Pflanzen war das eine Alarmanlage: "Pflanzen reagieren bei einer bestimmten Wärmesumme", erklärt Matthias Werchan, Pollenanalyst bei der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst. Ist diese Grenze übersprungen, blühen viele Bäume synchron. Dann kann es innerhalb weniger Tage zu einer extrem hohen Pollenkonzentration in der Luft kommen - Werchan spricht von einer Pollenexplosion. Die gute Nachricht: In sechs Wochen sind hierzulande die Birken abgeblüht. Und viele Nasen wieder frei.

Allerdings kommt eine Allergie selten allein. So gilt die Birke neben den allergologisch wichtigsten Blütenpollen Hasel, Erle, Esche, Süßgräser, Roggen, Beifuss und Ambrosia zwar als Hauptauslöser für allergische Reaktionen. "Auf Birke empfindliche Menschen reagieren aber häufig noch auf Hasel und Erle oder besitzen zusätzlich Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten etwa gegen rohe Äpfel", sagt Anja Schwalfenberg vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). So erstreckt sich die Leidenszeit dieser Menschen möglicherweise über mehrere Monate. Denn durch den Klimawandel starten Frühblüher wie Erle oder Hasel in manchen Jahren schon Anfang Dezember mit der Blüte. Andererseits stoßen einige Kräuter bis in den November hinein Pollen ab. Das bedeutet: Irgendetwas blüht immer.

Ein regionaler Heuschnupfen-Atlas kann Allergikern helfen

"Als Allergiker muss ich daher wissen, worauf ich reagiere", sagt Schwalfenberg. Das kann nur der Arzt mit einem Test herausfinden. Die DAAB-Expertin rät denn auch von der reinen Selbstmedikation ab. Aus einer Allergie könne sich leicht Asthma entwickeln, eine Krankheit, die das Leben noch stärker beeinträchtigt. Mediziner setzen meist auf eine Hyposensibilisierung, also eine Immuntherapie gegen das Allergen, eine zwar zeitintensive, dafür aber oft erfolgreiche Methode. Laut Ärzteverband Deutscher Allergologen schätzen Experten allerdings, dass nur etwa zehn Prozent der allergischen Patienten entsprechend den aktuellen Leitlinien behandelt werden - und das bei einer stetig wachsenden Fallzahl.

"Jeder Allergiker kann aber auch zusätzlich selbst dazu beitragen, den Kontakt mit Pollen so gering wie möglich zu halten", sagt Schwalfenberg. Dazu gehöre etwa ein Pollenschutzgitter fürs Fenster, der Pollenfilter im Pkw oder ein Urlaub in allergenarmen Regionen, möglichst in der Zeit, in der es daheim blüht.

Sinnvoll ist es auch, die Haare vor dem Zubettgehen zu waschen und die Kleidung nicht im Schlafzimmer auszuziehen. Gelüftet werden sollte immer dann, wenn die Pollenkonzentration niedrig ist - auf dem Land am Abend, in der Stadt am frühen Morgen.

Cetirizin ist sicher ein Standardmedikament, aber auch ein mildes cortisonhaltiges Nasenspray wie Mometason kann helfen. Man sollte allerdings nicht auf gut Glück damit herumdoktern. Die Diagnose einer saisonalen allergischen Rhinitis sollte schon ein Arzt vorher gestellt haben.

Wichtig für Allergiker ist auch eine Übersicht über den aktuellen Pollenflug, möglichst in der Region. Bundesweit bietet aber nur der Deutsche Wetterdienst eine Pollenflugvorhersage (www.dwd.de/pollenflug), basierend auf rund 45 Messstationen in ganz Deutschland. "Das sind natürlich nur Punktmessungen, die lokale Gegebenheiten nicht berücksichtigen können", sagt Werchan.

Der DAAB hat daher das neue Projekt www.pollentrend.de initiiert. Allergiker können dort ihre aktuellen Beschwerden plus Intensitätsgrad und den Pollenauslöser mit der jeweiligen Postleitzahl eintragen. Die Angaben werden anonym registriert und auf eine Karte übertragen, die so regional eine Art Heuschnupfen-Atlas bieten soll.

Das Thema Allergie dürfte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. So breiten sich beispielsweise nach Deutschland eingeschleppte Pflanzen wie Ambrosia immer weiter aus. Noch findet sich Ambrosia meist auf Brachflächen und wird schnell bekämpft. Die Pollen aber haben es in sich. Schwalfenberg: "Sie verursachen starke Reaktionen." Auch die Birke ist Ende Mai nicht komplett ausgestanden. Weil dann die Blüte in Finnland erst beginnt, können die Pollen je nach Wind bis zu uns getragen werden.

Bei Kindern müssen die Eltern genau hinschauen

Bei Kindern, die sich ja nicht präzise äußern können, müssen die Eltern genau hinschauen. Läuft dem Kind im Frühling dauernd die Nase, könnte das eine Erkältung sein. Oder Heuschnupfen? Hermann Josef Kahl, Bundespressesprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, rät Eltern, auf sonstige Symptome zu achten: "Reibt das Kind zugleich häufig die Augen, oder hat es juckende Stellen auf der Haut?" Dann handelt es sich eher um Heuschnupfen. Nächtliche Hustenattacken können auf eine Allergie gegen Hausstaubmilben hindeuten. Hat das Kind Fieber, ist eine Erkältung wahrscheinlicher. Um eine Allergie festzustellen, ist auch beim Kind ein Bluttest nötig.

(w.g.)
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