Verein Zartbitter hilft bei Prävention Wie viel Doktorspiel ist erlaubt?

Düsseldorf · Schon im Kindergarten fangen Kinder an, ihren Körper zu erkunden. Sie sind gerne nackt und spielen miteinander Arzt. Dabei kann es zu grenzverletzenden Übergriffen kommen. Der Verein Zartbitter hilft bei Prävention und Verarbeitung.

 Das Bilderbuch "Sina und Tim" ist inklusiv gestaltet: Das Mädchen mit den roten Haaren ist etwas rundlich, Sina hat dunkle Haut. Damit sollen alle Kinder angesprochen werden. Auf dieser Seite des Buchs wird auf zwei Bildern normales und umsichtiges Spiel gezeigt - und Tim, der sich gegen zu starkes Kitzeln wehrt.

Das Bilderbuch "Sina und Tim" ist inklusiv gestaltet: Das Mädchen mit den roten Haaren ist etwas rundlich, Sina hat dunkle Haut. Damit sollen alle Kinder angesprochen werden. Auf dieser Seite des Buchs wird auf zwei Bildern normales und umsichtiges Spiel gezeigt - und Tim, der sich gegen zu starkes Kitzeln wehrt.

Foto: Zartbitter

Sina und Tim sind gute Freunde und gehen in einen Kindergarten. Oft spielen sie zusammen, zum Beispiel Doktor. Arno, der schon fast in die Schule geht, will mitmachen. Doch die beiden Kleinen möchten nicht, dass Arno sie anfasst, und erzählen es ihrer Erzieherin. Die greift ein und erklärt Arno, warum er das nicht machen darf.

Die beiden Kinder sind die fiktiven Protagonisten eines Puppentheaterstücks des Kölner Vereins Zartbitter. Seit 30 Jahren berät dieser Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind. Zusätzlich betreibt die Beratungsstelle Präventions- und Aufklärungsarbeit. Dazu gehört auch das Theaterstück "Sina und Tim". Ergänzt durch ein Pappbilderbuch sowie Broschüren, Flyer und eine CD mit Liedern richtet sich das Projekt "Doktorspiele oder sexueller Übergriff" an Kinder im Vorschulalter sowie deren Eltern und Erzieher. Damit soll vermittelt werden, wo harmloses Spiel aufhört und sexuelle Übergriffigkeit beginnt - und was zu tun ist, wenn ein Übergriff stattgefunden hat.

Wie Zartbitter erklärt, sind Doktorspiele an sich Teil der normalen kindlichen Entwicklung im Vor- und Grundschulalter. Viele Kinder seien gerne nackt, zögen sich voreinander aus und fassten sich auch gegenseitig an. Arztspiele oder solche, in denen etwa Vater, Mutter und Kind dargestellt werden, seien normal - auch Zeugungs- und Geburtsszenen, schreibt der Verein.

 Bei Doktorspielen brauchen Kinder laut Zartbitter klare Regeln von Eltern und Erziehern. Wie diese aussehen können, wird auf dieser Seite dargestellt: Tim schaut sich vorsichtig den Po des Mädchens an. Der andere Junge hingegen möchte einen Legostein hineinstecken - und wird von Sina daran gehindert.

Bei Doktorspielen brauchen Kinder laut Zartbitter klare Regeln von Eltern und Erziehern. Wie diese aussehen können, wird auf dieser Seite dargestellt: Tim schaut sich vorsichtig den Po des Mädchens an. Der andere Junge hingegen möchte einen Legostein hineinstecken - und wird von Sina daran gehindert.

Foto: Zartbitter

Wichtig dabei ist: "Es sind gleichberechtigte und gegenseitige Spiele. Die Initiative geht nicht nur von einem Kind aus." Eine Grenze werde jedoch beispielsweise überschritten, wenn Kinder sehr unterschiedlicher Altersgruppen miteinander Doktor spielten. Die Kinder bräuchten deshalb sowohl von Eltern als auch Erziehern eindeutige Regeln - und eine klare Ansprache. "Viele Erwachsene haben allerdings Angst, das Thema anzusprechen. Die wollen wir ihnen nehmen", sagt Zartbitter-Gründerin Ursula Enders. Den Kindern solle nicht nur vermittelt werden, die Grenzen der anderen Kinder zu achten, sondern auch, die eigenen zu kennen und zu vertreten. "Außerdem gilt: Hilfe holen ist nicht petzen, sondern gut und richtig", so die Traumatherapeutin.

Ein sexueller Übergriff findet der Beratungsstelle zufolge dann statt, wenn ein Kind andere zu sexuellen Handlungen überredet oder mit Drohungen oder Versprechungen dazu zwingt. Auch wiederholte oder gezielte Verletzungen an den Genitalien sind als sexuell übergriffig zu werten. Ein Übergriff kann viele verschiedene Formen haben. Im Theaterstück "Sina und Tim" etwa möchte der ältere Arno dem kleineren Tim das Fieberthermometer in den Po stecken - obwohl dieser sich wehrt und wegläuft.

Die Gründe, warum schon kleine Kinder übergriffig werden können, sind vielfältig: So können sie zum Beispiel selbst Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden sein. Warnzeichen seien etwa besonders großes Interesse an Doktorspielen und eine stark sexualisierte Sprache.

Zartbitter arbeitet bei der Präventionsarbeit unter anderem mit den Jugendämtern in Köln und Düsseldorf zusammen. Die städtischen Kita-Mitarbeiter werden regelmäßig von Vereinsmitarbeitern geschult. Zahlen dazu, wie oft sexuelle Übergriffe zwischen Kita-Kindern vorkommen, gibt es aus beiden Städten aber nicht. Laut Düsseldorfer Diakonie, die in der Stadt 48 Kitas betreibt, sind solche Vorwürfe eher selten. Etwa ein bis zwei Mal pro Jahr gebe es eine Meldung, sagt Sprecher Christoph Wand: "Dann greift ein spezielles Verfahren mit Dokumentation, Beratung und Hilfestellungen für alle Beteiligten."

Die Düsseldorfer Caritas kooperiert in den drei Kindergärten im Stadtgebiet ebenfalls mit Zartbitter. Werde aus einer der Kitas ein sexueller Übergriff gemeldet, werde der Fall mit dem betroffenen und dem übergriffigen Kind sowie den jeweiligen Eltern aufgearbeitet, erklärt Fachbereichsleiterin Christiane Rath: "An erster Stelle steht aber der Schutz des betroffenen Kindes."

Eltern eines solchen Kindes rät Zartbitter zunächst, ruhig mit dem Kind zu sprechen - aber klar zu machen, dass die Übergriffe nicht in Ordnung waren. Zudem müsse das Kind vor weiteren Übergriffen geschützt und bei der Verarbeitung unterstützt werden - durch Zuhören und liebevolle Pflege. Mit der Einrichtung, in der der Übergriff stattgefunden hat, sei ein Gespräch Pflicht. Therapeutische Hilfe sei zudem nicht nur für betroffene Kinder und deren Eltern empfehlenswert, sondern auch, wenn das eigene Kind übergriffig geworden ist.

Damit es erst gar nicht zu solchen Übergriffen kommt, rät Ursula Enders dazu, früh mit den Kindern über Sexualität und Doktorspiele zu sprechen. Zudem sei es im Umgang mit Kindern wichtig, Prävention heiter zu gestalten - wie mit der Geschichte von Sina und Tim.

(kess)
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