„Der perfekte Chef“ mit Javier Bardem Der Mythos vom gutherzigen Kapitalisten

Düsseldorf · Julio Blanco ist ein Unternehmer, der glaubt, alles richtig zu machen. Gespielt von Javier Bardem, steht er im Zentrum der spanischen Arbeitsplatz-Satire „Der perfekte Chef“.

 Sehr überzeugend: Javier Bardem als Julio Blanco in „Der perfekte Chef“.

Sehr überzeugend: Javier Bardem als Julio Blanco in „Der perfekte Chef“.

Foto: dpa/-

Auf das Gleichgewicht kommt es an – so lautet das Mantra des Unternehmers Julio Blanco (Javier Bardem), der sein Produkt zur Firmen- und Lebensphilosophie erhoben hat. Schon in der zweiten Generation baut das spanische Familienunternehmen Waagen für Industrie und Haushalt.

Eine Gesellschaft, die viele Waagen baue, sei eine gerechtere Gesellschaft, hat schon der Vater behauptet. Auch unter der Leitung seines Erben wird das Prinzip des Gleichgewichts in der Firmenkultur groß geschrieben. „Sie wissen, dass ich und meine Frau kinderlos sind. Wir brauchen keine Kinder. Sie sind unsere Kinder“, sagt Julio zu den Angestellten in der Fabrikhalle von der Hebebühne herab – und dass sie alle eine große Familie seien. Soviel Pathos muss sein. Schließlich ist „Blanco Waagen“ einer von drei Finalisten um den Preis der Bezirksregierung für „unternehmerische Exzellenz“.

Die Jury kann jederzeit auf einen Überraschungsbesuch vorbeikommen. Da heißt es, die Belegschaft noch einmal auf Harmonie einschwören. Denn gute Arbeitsbedingungen und sozialer Frieden sind entscheidende Kriterien für die Preisvergabe. Im Wohnzimmer seines unbescheidenen Heimes hat Julio Blanco eine ganze Wand mit Trophäen, die Tag und Nacht einzeln beleuchtet werden. Die Lücke rechts oben für die neue Ehrung wird schon vorsorglich angestrahlt.

Ein Unternehmer, der glaubt, alles richtig zu machen, steht im Zentrum der Arbeitsplatz-Satire „Der perfekte Chef“ von Fernando León de Aranoa. Am Anfang ist es nur ein Vogel, der sich auf einer der beiden Waagschalen neben dem Pförtnerhaus niederlässt und das Messgerät aus der Balance bringt. Aber wenig später schlägt auf der anderen Straßenseite José (Óscar de la Fuente) seine Zelte auf, um gegen seine Kündigung zu protestieren. Der langjährige Mitarbeiter wurde trotz guter Firmenumsätze im vergangenen Jahr aus betrieblichen Gründen entlassen.

Dass der geschiedene Mann die Hypothek fürs Haus und den Unterhalt für seine beiden Kinder nicht bezahlen kann, scheint Blanco nicht zu interessieren. Der Mann soll weg, bevor das Komitee kommt. Aber José denkt nicht daran, sich verjagen zu lassen und entwickelt ungeahnte Protestenergien.

Aber auch hinter dem Werkstor kriselt es. Produktionschef Miralles (Manolo Solo) kämpft mit Eheproblemen und macht folgenschwere Fehler bei der Materialbestellung. Seit 22 Jahren arbeitet der Mann – so wie zuvor sein Vater – in der Waagenfabrik. Julio kennt ihn schon seit Kindertagen, versucht den Liebeskranken beim Essen im Restaurant oder mit Stripclub-Besuchen zur Besinnung zu bringen und dringt mit seinen durchaus eigennützigen und übergriffigen Fürsorgebemühungen viel zu tief in das Privatleben des labilen Mitarbeiters ein.

Von oben durch die Glasscheiben seines Büros hat Julio ein Auge auf die neue Praktikantin Liliana (Almudena Amor) geworfen. Die 24jährige erwidert seine Annäherungsversuche, ist aber nicht gewillt, es bei einem One-Night-Stand zu belassen. Als sich herausstellt, dass Liliana die inzwischen erwachsene Tochter eines alten Freundes ist und schon als Mädchen auf Julio fixiert war, gerät auch dessen familiäre Existenz empfindlich aus dem Gleichgewicht.

Mit schwarzem Humor und analytischem Blick dekonstruiert Fernando León de Aranoa in „Der perfekte Chef“ den Mythos des gutherzigen Kapitalisten. Fein nuanciert spielt Javier Bardem den Unternehmer, der sich als fürsorgliche Vaterfigur inszeniert und es gewohnt ist, alle Fäden in der Hand zu halten. Aber hinter der paternalistischen Selbstgefälligkeit verbirgt sich eine kontrollsüchtige Führungspersönlichkeit, die mit regelmäßigen Grenzüberschreitungen in das Leben der Mitarbeitenden eingreift, um sie zum profitablen Wohl der Firma zu manipulieren.

Gleichzeitig ist die Figur als Prototyp einer Männergeneration angelegt, die sich nie selbst hinterfragen musste und ihre eingeschränkte Sicht auf die Welt im permanenten Mansplaining-Modus erklärt. Bardem, der während seiner Hollywood-Karriere in Filmen wie „No Country for Old Men“ (2007) oder als Bond-Bösewicht in „Skyfall“ (2012) schon einige verstörende Psychopathen verkörpert hat, besitzt das notwendige Handwerkszeug, um hinter der jovialen Fassade die seelischen Abgründe seiner Figur zu erkunden.

Der spanische Film hat in den deutschen Kinos gerade einen guten Lauf. Nach dem herausragenden „Maixabel“ über die schmerzhaften Folgen des Terrorismus‘ im Baskenland und „Der beste Film der Welt“ mit Penélope Cruz und Antonio Banderas sowie dem Berlinale Sieger „Alcarras“ (ab 11. August in den deutschen Kinos) überzeugt auch „Der perfekte Chef“ durch seinen analytischem Blick und ein stringentes Konzept, das der eigenen Idee selbstbewusst vertraut, anstatt sich dem Mainstream anzubiedern.

Info „Der perfekte Chef“ Regie: Fernando León de Aranoa mit Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, 120 Minuten, FSK 12, vier Sterne

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