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"Vier Jahreszeiten" Vivaldis knusprige "Quattro stagioni"

Sie gelten als eines der unverwüstlichen Meisterwerke der Barockmusik: die "Vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi. Jetzt hört man sie - dank einer phänomenalen Aufnahme - mit ganz neuen Ohren.

"Vier Jahreszeiten": Vivaldis knusprige "Quattro stagioni"
Foto: Ferl

Wer in Wien über Friedhöfe spaziert, begegnet einer Galerie von Geistesgrößen; extrem fündig wird man auf dem Zentralfriedhof, der berühmtesten Nekropole neben dem Friedhof Père Lachaise in Paris. Aber es gibt in Wien auch ewige Ruhestätten, die den Zeitläuften zum Opfer fielen und planiert wurden, weil sie etwa wichtigen Bauten Platz machen mussten. Vor genau 175 Jahren starb Antonio Vivaldi in Wien, wohin er 1730 gezogen war; in Venedig war man seiner Musik überdrüssig geworden. Sein Grab, laut historischen Quellen "auf dem Spitaller Gottsacker vor dem Kärntnertor", musste dem Gelände der heutigen Technischen Universität weichen. An Vivaldi erinnert nur eine Gedenktafel.

Über und um Vivaldi liegt ohnedies ein seltsamer Schleier, er gilt als Schöpfer unvergesslicher Melodien, wobei kaum jemand mehr als die paar Melodien aus den "Vier Jahreszeiten" nachpfeifen könnte. Andererseits ist Vivaldis musikalisches Markenzeichen eine fast schon gottesfürchtige Schlichtheit; seine Musik singt das Lob der Einfachheit, der überschaubaren formalen Entwicklungen, der berechenbaren Kadenzen und sonnenklaren Modulationen. Bei Vivaldi ahnt man sehr oft, wohin die spirituelle Reise eines Werks geht. Manchmal weiß man es auch, ohne dass man das Stück je gehört hätte.

In der Tat gibt es bei Vivaldi etliche Momente, in denen er auf einem sehr konventionellen, eher sparsamen Niveau komponiert. Bei ihm hört man vor allem stets den virtuosen Geiger heraus, der etwa mit sturzbachartigen Tonleitern für Brillanz sorgt. Wenn Vivaldi sequenziert (also motivische oder harmonische Phrasen auf neuer Tonstufe wiederholt), dann sind diese Sequenzen oft geradezu banal. Andererseits bedürfen sie einer sozusagen erfinderischen Musizierhaltung - wenn überhaupt ein Barockkomponist einen mitschöpferischen Interpreten benötigt, dann ist es Vivaldi.

Igor Strawinsky sagte einmal den vielzitierten Satz, Antonio Vivaldi habe ein Violinkonzert tausende Male komponiert. Da schwingt Spott mit, weil Strawinsky den Vervielfältigungsaspekt der Musik natürlich genau erkannt hatte. Andererseits kannte Fürst Igor seinen Vivaldi auch nur von jenen schrecklichen Aufnahmen, auf denen die "Vier Jahreszeiten" von Musikern, die sonst vor allem Johannes Brahms oder Dmitri Schostakowitsch spielen, geboten werden. Und bei denen sie nach Meterware, nach Schnellkonfekt klingen, das dem Hörer ohne Sinn und Verstand eingeworfen wird. Wie schnell hört man in dieser Musik bei gedankenloser Behandlung einen öden Spulwurm kriechen!

Wenn indes pfiffige Spezialensembles für Alte Musik, für die Musik immer auch eine lebendige Klangrede ist, an diese Musik geraten, dann kann sie geradezu sensationell schön klingen. Dann öffnet sie ihre Farbkammer, ihren Heiligenschrein, ihre Kostbarkeitsschatulle. Sozusagen ins Allerheiligste wird man nun dank einer hinreißenden neuen CD des Ensembles Concerto Köln vorgelassen. Die Musiker haben die so oft verhunzten "Vier Jahreszeiten", die Vivaldi 1725 in Venedig komponierte, gleichsam neu gebacken, mit dünnem Teig und nicht zu dick belegt in den Ofen geschoben und schließlich dampfend hervorgeholt. Und aus einer vivaldinischen Massenabspeisung, die man bei diesem Werk so oft erlebt, wird ein delikater Genuss, der sozusagen besonderen Momenten vorbehalten bleibt.

Diese Musik ist musikgeschichtlich ohnedies eine Kostbarkeit: Sie bringt die Natur in den Sound. Der Hörer erlebt hier die Erweckung des alltäglichen Lebens, das im Reigen der Zeit an uns vorbeizieht, durch Töne. Banal ist das nie bei Vivaldi, sondern vielmehr sehr speziell und überaus fantasievoll. Im "Frühling" zieht das Leben pompös und mit Grandezza ein, wir hören Vogelgezwitscher, das Gemurmel der Bäche und ein saftiges Gewitter; wir hören Äste knacken und Hirtenhunde bellen. Die Solo-Violine hat hier dankbarste und sehr schwierige Aufgaben zu verrichten. Und ihre sehnenden, springlebendigen Töne sind zugleich eine perfekte Temperaturanzeige: Wir befinden uns unverkennbar im Süden.

Der "Sommer" wird dann drückend, Vivaldis Insekten sind uns die liebsten der Welt, weil sie nur schwirren, aber nicht stechen. Der "Herbst" beschert dem Hörer die Freuden der Ernte und der Jagd. Der "Winter" lässt uns alles erleben, was wir derzeit beim Blick aus dem Fenster und beim morgendlichen Eiskratzen erleben: die widerspenstige Natur, die man sich gern auch von innen anschaut; davon handelt der zweite Satz. Vivaldi hat diese Assoziationen dem Hörer nicht überlassen, sondern ihm eingeimpft; in Sonettform hat er jedem Satz sehr naturalistische Gedanken mitgegeben.

Bei den Kölner Musikern wird die Musik nicht zementiert, sondern vor unseren Ohren improvisatorisch erweckt. Man hört die Musiker lachen, zaubern, einander die Bälle zuspielen, der Strich ist dünn, aber nicht strohig, die Darmsaiten klingen frisch, lieblich oder, um in der Sprache der Gastronomie zu bleiben: wie aus dem Ei gepellt.

Die herrliche Platte bietet neben den taufrischen "Jahreszeiten" zwei weitere Meisterwerke: die nicht oft gespielte, grabesschwere "Sinfonia Al Santo Sepolcro" in h-Moll und das Concerto g-Moll. Dessen langsamer Satz RV 156 ist nichts weniger als ein geheimnisvolles Juwel unter den langsamen Sätzen der Menschheitsgeschichte - aber man muss ihn von Concerto Köln gespielt hören, die ihn nicht einfach bloß spielen, sondern erlauschen, ertasten, ihm fast nicht zu nahe treten wollen und eben durch diese Diskretion das Geheimnis der Musik wunderbar aufsperren.

Wenn Antonio Vivaldi von seinen Interpreten so kenntnisreich, beschwingt und spirituell umsorgt wird, dann wird aus ihm, dem vermeintlichen Verwalter eines Meterwarenlagers, ein hinreißender Erfinder konzertanter Poesie. Und man spürt, dass seine "Quattro stagioni" zum Zündimpuls für die Musikgeschichte wurden: Ludwig van Beethovens "Pastorale" ist ohne Vivaldi nicht denkbar - und die impressionistische Naturspiegelung bei Claude Debussy vermutlich auch nicht.

(w.g.)
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