Unterm Birnbaum Zu Besuch bei Herrn von Ribbeck

Ribbeck · Fontanes Gedicht über den Gutsherrn und seinen Birnbaum hat das Dorf Ribbeck berühmt gemacht. Die Nachfahren kehrten nach der Wende zurück.

     Friedrich von Ribbeck vor der alten Brennerei in Ribbeck.

Friedrich von Ribbeck vor der alten Brennerei in Ribbeck.

Foto: Anika Buessemeier

Als Friedrich von Ribbeck kurz nach der Wende ins Havelland zurückkehrte, hatte das Dorf seiner Kindheit alle Farbe verloren. Die Schule, die Ställe und das hübsche Inspektorenhaus, in dem er bis zu seinem achten Lebensjahr gelebt hatte, waren hinter braunem DDR-Putz verschwunden. Das Schloss, in dem seine Vorfahren mehr als 200 Jahre residiert hatten, war ein Altenheim geworden – mit Außenaufzug an der neobarocken Fassade. Die Brennerei mit dem schlanken Schornstein, auf dem seit Generationen Störche brüteten, war angefüllt mit Schutt. Dabei hatte das Ensemble roter Klinkerbauten so anmutig um Kirche und Anger gelegen. Und um den Baum, der Ribbeck berühmt gemacht hat: der Birnbaum des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

1889 hat Theodor Fontane die berühmten Verse verfasst über einen großzügigen Gutsherrn, der die Dorfkinder mit Birnen beschenkt – über seinen Tod hinaus. Er lässt sich eine Frucht mit ins Grab geben und überlistet damit seine geizigen Nachfahren. Reales Vorbild war Hans Georg von Ribbeck (1689–1759), aus dessen Grab tatsächlich ein Birnbaum wuchs, bis ein Sturm 1911 über das Havelland hinwegfegte. Der Stumpf ist heute in der Evangelischen Kirche zu besichtigen. Im Jahr 2000 wurde am Originalplatz ein neuer Baum gepflanzt.

Bis heute wird Fontanes Ballade in Schulen besprochen. Sie ist vertont, illustriert, animiert worden, und wer sie einmal lernen musste, hat sie im Gedächtnis. Dabei hat Fontane selbst Ribbeck wohl nie besucht. Die überlieferte Geschichte war zwei Jahre zuvor in einem Ruppiner Sagenbuch erschienen und von einer Wochenschrift nachgedruckt worden. Als Fontane sie entdeckte, erkannte er das Potenzial des Stoffes. So schrieb er ein Gedicht, das zu den liebsten Balladen der Deutschen wurde. In den rhythmisch schwingenden Zeilen herrschen Güte und Ordnung. Der Gutsherr ist großzügig und weiß, was er an den Gutsbewohnern hat. Ein Stand des preußischen Staates sorgt für den anderen.

Dazu nimmt die Geschichte eine schlitzohrige Wendung. Der Feudalherr trickst die eigenen Nachfahren aus und ist noch aus dem Grab ein sorgender Patriarch. Heiter und beschaulich klingt das alles, doch für die wahren von Ribbecks begann in den Jahrzehnten nach Fontanes literarischer Verewigung eine finstere Zeit. Friedrich von Ribbeck hätte jedenfalls nach der Wende genug Grund gehabt, es bei einem einmaligen Besuch in der alten Heimat zu belassen. Sein Großvater Hans von Ribbeck war von den Nazis ermordet worden. Als Kaisertreuer und Mitglied der antidemokratischen Wehrgruppe Stahlhelm wollte er sich den Nazis nicht untertänig zeigen. 1944 brachten die ihn ins KZ Sachsenhausen und ermordeten ihn ein Jahr später. Nach dem Krieg wurde den Hinterbliebenen zunächst ein wenig Land zugesprochen, doch schon 1947 sah man in der Familie des Naziopfers doch die Feudalherren von früher und damit Feinde des Kommunismus. So wurden die von Ribbecks enteignet und flohen in den Westen. Erst 1998 bekam die Familie nach zähem Ringen und jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen eine finanzielle Entschädigung.

Doch darauf hatte Friedrich von Ribbeck nicht warten wollen. Längst hatte er begonnen, im Dorf, das den Namen seiner Familie trägt, wieder heimisch zu werden. Wo früher die Pferde der von Ribbecks im Stall standen, baute er sich ein neues Wohnhaus. Das abgewirtschaftete Schloss konnte von Ribbeck nicht zurückkaufen, aber er erwarb die alte Brennerei und machte sich mit hohem Aufwand an deren Renovierung. „Das musste sein“, sagt der alte Herr, den man sich gut mit ein paar Birnen in der Tasche vorstellen kann, „das hat etwas mit Wurzeln zu tun.“

 Der zurückgekehrte Herr von Ribbeck wird in diesem Jahr 80 Jahre alt. Darum werden sein Neffe Christian und dessen Frau Beate die Brennerei bald übernehmen. Sie verkaufen dort Birnenlikör, Birnenbrand und Birnenessig, der in der Brennerei fermentiert wird. „Die Birnen für den Essig beziehen wir von einem Bauern aus der Region“, sagt Christian von Ribbeck. Die Brände indes werden aus dem Elsaß importiert. Der Schornstein über Ribbeck qualmt nicht wieder.

Eigentlich hat Christian von Ribbeck (57) mit dem Brennereihandwerk auch nichts zu tun. Er wurde in Simbabwe geboren, wo sein Vater für Volkswagen arbeitete. Mit acht Jahren kehrte er zurück – nach Leverkusen. „Der Umzug war natürlich ein gewaltiger Bruch“, sagt er und lächelt versonnen. Von Ribbeck absolvierte eine Hotelfachausbildung, arbeitete in edlen Hotels, doch 1986 „rief ihn die Fliegerei“. So formuliert er es. Er wollte die Welt sehen, etwas von der Weitläufigkeit zurückgewinnen, die er als Kind verloren hatte. Heute arbeitet er als Kabinenchef bei der Lufthansa, ist jeweils einen halben Monat in Frankfurt und fliegt von dort aus lange Strecken. Die restliche Zeit lebt er mit seiner Frau im 400-Einwohner-Dorf Ribbeck und kümmert sich um die Brennerei. Beate von Ribbeck (58) hat ihren Job bei der Lufthansa sogar ganz aufgegeben. „Ich hatte genug von Städten“, sagt sie. „Im Sommer kommen viele Menschen auf den Spuren Fontanes durch das Dorf, besuchen die historischen Gebäude, fotografieren den Birnbaum, aber ab 17 Uhr wird es hier wunderbar ruhig, dann ist das Dorf wirklich Dorf.“

 Marina Wesche stellt dann manchmal einen Grill vor ihr Haus und genießt den Feierband. Die Brandenburgerin (58) aus der nächst größeren Ortschaft Nauen hat im alten Wäschehaus von Ribbeck ein historisches Café eingerichtet, in dem Weißwäsche aus dem 19. Jahrhundert an der Leine baumelt und Birnensaft mit gefrorenen Träubchen in Weckgläsern serviert wird. Wesche schreibt auch Kinderbücher und Theaterstücke mit regionalem Bezug und mag Sprachspiele wie „Wir bügeln ihre Seele auf“ oder „wir haben keinen Mangel an Ideen“, mit denen sie für ihr Café im Waschhaus wirbt. Das liegt gleich neben der Evangelischen Kirche mit Blick auf den Birnbaum.

An diesem Nachmittag ist festlich gedeckt, gleich wird eine Hochzeitsgesellschaft aus dem Standesamt im Schloss zum Kaffeetrinken herüberkommen. Marina Wesche hat mächtige Birnen-Torten gezaubert. Das Gedicht dazu hängt großformatig an der Tür. Sie selbst hat es in der Schule nicht auswendig lernen müssen. „Zu DDR-Zeiten fand man die Geschichte vom freundlichen Gutsherrn wohl zu positiv“, sagt sie, „aber meine Kinder haben es schon wieder durchgenommen.“ Dass die von Ribbecks nach der Wende in den kleinen Ort zurückkehrten, habe nur anfangs für Unruhe gesorgt. Da habe es Gerüchte gegeben, die ehemaligen Gutsbesitzer wollten das ganze Dorf zurück. Doch dann habe sich ja bald gezeigt, dass die Ribbecks nur wieder heimisch werden wollten, und nun lebe man in bester Nachbarschaft. „Es gibt hier inzwischen ja auch einige Zugezogene“, sagt Wesche und deutet auf die renovierten Häuser auf der anderen Seite des Angers. Auch übernachten können Touristen inzwischen im liebevoll restaurierten Landhaus Ribbeck auf der anderen Seite der Durchgangsstraße. Ribbeck hat sich verändert.

Dass unter der idyllischen Gegenwart die Verwerfungen der Geschichte ruhen und womöglich weiter wirken, davon erzählt der Schriftsteller Friedrich Christian Delius in seiner Nachwende-Erzählung „Die Birnen von Ribbeck“. Im Monolog eines namenlosen Ribbeckers wird von den wechselnden Herrn im Dorf und der Ohnmacht der Ribbecker erzählt. Erst müssen die Bewohner sich vor dem Gutsherrn ducken, dann vor den Nazis, dann arbeiten sie auf LPG-Feldern und betreiben wider besseres Wissens Misswirtschaft nach Plan, bis am Ende die Wessis kommen und dem Dorf gönnerisch ein neues Birnbäumchen spendieren. Auch so kann man Ribbeck betrachten. Als einen Brennpunkt deutscher Geschichte

Im Schloss, das vom Landkreis Havelland für mehrere Millionen restauriert wurde, ist diese Geschichte gebändigt: im Museum. Gerade wird dort in einer aufwendig präsentierten Ausstellung Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg gedacht. Fontane hat Ribbeck berühmt gemacht. Das Dorf erinnert an den Dichter und so flüstert es in Ribbeck weiter „wist` ne Beer?“

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