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Ausstellung So farbig sah van Gogh die Nacht

Amsterdam (RP). Die Abend- und Nachtkompositionen des Niederländers sind jetzt im Amsterdamer Van-Gogh-Museum zu sehen. Das Zwielicht ruft je nach Motiv unterschiedliche Empfindungen hervor: Geborgenheit in der Natur oder das Gefühl des Alleinseins. Glanzstück der feinen Schau: "Die Sternennacht".

Vincent van Gogh (1853–1890) hat die Nachwelt mit so vielen einprägsamen Bildern überhäuft, dass es Ausstellungsmachern schwerfällt, die Augen der Betrachter neu zu öffnen: für einen van Gogh jenseits aller Kalenderblätter. Jetzt hat das Van-Gogh-Museum in Amsterdam wieder einmal eine prächtige Schneise ins Werk des Malers geschlagen.

Die Schau "Van Gogh und die Farben der Nacht" lenkt mit weltbekannten, aber auch kaum geläufigen Werken den Blick ins Zwielicht, in dem van Goghs Kunst besonders gut gedeiht. In der Dämmerung laden sich die Motive mit religiöser Bedeutung auf, Gefühle und Stimmungen steigern einander, in allem steckt Geheimnis.

Van Gogh baute dabei nicht nur auf das Funkeln der Sterne, sondern auch auf das Gaslicht, das sich im 19. Jahrhundert verbreitete. Und er baute auf Künstler, die schon vor ihm die Kraft des Lichts entdeckt hatten.

Verbeugung vor Rembrandt

Die Amsterdamer Ausstellung beschränkt sich auf gut 50 hochrangige Werke und hat deshalb auch bei der Erzählung der Vorgeschichte ihres Themas nicht viel Zeit zu verlieren. Anhand ausgewählter Gemälde ruft sie vorab in Erinnerung, dass schon Rembrandt die Kunst des Spiels mit dem Licht beherrschte, und der "Sämann" des von van Gogh bewunderten Millet führt mitten hinein in die Farben der Nacht bei van Gogh selbst. Sein eigener "Sämann" von 1888 knüpft unmittelbar an das christlich verstandene Vorbild an: Säen und Ernten als ein von Gott gegebener Rhythmus des Lebens.

Zunächst aber beherrschen als Verbeugung vor Rembrandt die berühmten, düsteren "Kartoffelesser" von 1885 die stilvoll abgedunkelten Räume, ein Bild davon, wie das einfache Volk in seinen Menschennestern Tag und Nacht voller Demut durchlebte. "Menschennester" – das wunderbare Wort stammt von van Gogh, und einige jener Bauernkaten, die er so bezeichnete, sind nebenan auf Bildern zu sehen – ähnlich sogar noch heute in Hollands ländlichen Gebieten.

Die Stunde der Sämänner schlägt im nächsten Kabinett. Glanzvoll sind dort drei Fassungen von 1888 vereint: aus dem Kröller-Müller-Museum Otterlo, der Sammlung E. G. Bührle aus Zürich und dem Van-Gogh-Museum selbst.

Den Höhepunkt der Ausstellung bildet eine weitere Zusammenführung: Im Kapitel "Poesie der Nacht" begegnen einander van Goghs weltbekannte Sternennächte aus Arles (Musée d'Orsay, Paris) und Saint-Rémy (MoMA, New York): jeweils Sterne, Mond und Landschaft, die sich aus überwiegend blauen, bizarren Linien zusammensetzen. Spiralen beleben den Himmel, fast gleißendes Mondlicht und im Dunkel versinkende Natur bilden die Pole der Komposition. Schwer zu sagen, ob man sich in dieser Szenerie geborgen oder beunruhigt fühlt. Das Firmament erscheint als Ort der Zuflucht ebenso plausibel wie als Angst vermittelnder Spiegel der Unendlichkeit.

Van Gogh hatte sich in seinen frühen Jahren mit seiner Kunst noch ganz in der christlichen Tradition von Rembrandt und Millet bewegt: Die Natur bedeutete ihm Schöpfung, Offenbarung Gottes, und die Menschen, die sich in ihr bewegten, erfüllten einen göttlichen Plan. Später, 1888, schwand nicht nur des Künstlers Interesse an biblischen Figuren und Geschichten; seinen Gestalten kam zusehends die Geborgenheit abhanden. Schon der Sämann aus jenem Jahr wirkt auf seinem Feld verloren, und auch den Nachtcafé-Gestalten fehlt die soziale Einbindung, die den drei Jahre zuvor entstandenen Kartoffelessern noch selbstverständlich war.

Von den Nachtcafé-Szenen war auf der doppelt so umfangreichen vorherigen Station der Schau, im New Yorker Museum of Modern Art, erheblich mehr zu sehen als in Amsterdam. Die Reduktion aber hat auch ihre guten Seiten: Sie erhöht den Wert des einzelnen Bildes in der Ausstellung und verstärkt die Aufmerksamkeit der Besucher. Dennoch ist es schwer verständlich, dass sich ausgerechnet die berühmte, oft reproduzierte "Caféterrasse bei Nacht" von 1888 mit ihren vereinzelten Gestalten aus dem nur rund 100 Kilometer entfernten Kröller-Müller-Museum nicht in die Amsterdamer Parade der Meisterwerke einreiht.

Das Bild zähle zu den Schlüsselwerken des Hauses und sei in letzter Zeit oft unterwegs gewesen, hieß es im Van-Gogh-Museum zur Entschuldigung. In Amsterdam hätte das Bild veranschaulichen können, wie sehr das reife Werk van Goghs in die Moderne vorausweist, in jene Zeit der Vereinzelung, als die Menschennester schon zur guten alten Zeit gehörten.

(RP)
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