Komödie des "Dr. Schiwago"-Regisseurs David Lean

"Herr im Haus bin ich" erzählt von einem tyrannischen Schuhhändler - und den Frauen seiner Familie.

Er wirkt noch in seinen besten Momenten ein wenig unbeholfen, wie ein am Boden festgepflocktes Luftschiff: Der Witwer und Geschäftsinhaber Henry Hobson füllt seine Klamotten bis zum Platzen aus. Beim Essen und Biertrinken zählt er keine Kalorien mit, denn Hobsons Selbstwahrnehmung ist die des majestätischen Zeppelins hoch in den Wolken.

Der Titelheld von David Leans Spielfilm "Herr im Haus bin ich" besitzt ein Schuhgeschäft in einer Kleinstadt in der Grafschaft Lancashire im Norden Englands. Einer wie er darf sich im 19. Jahrhundert zu den Honoratioren zählen, den Leistungsträgern, den Stützen der Gesellschaft.

Mit illusionslosem Humor zeigt Lean in seinem Schwarz-weiß-Film aus dem Jahre 1954, dass Hobson schon lange nichts mehr leistet und erst recht nichts mehr stützt, außer den Umsätzen des Pubs schräg gegenüber. Haushalt und Laden lässt er von seinen drei Töchtern führen, und sein patriarchalisches Aufgeplustere gegenüber der Familie ist noch gar nichts gegen sein tyrannisches Auftreten gegenüber den zwei verschüchterten Arbeitern, die im Keller unterm Laden in Handarbeit die Schuhe herstellen. Das besitzt zwar viele Elemente der Boulevardkomödie, ist aber eine schwungvolle, respektlose Abrechnung mit der alten Klassengesellschaft. Charles Laughton, einer der größten und auch in Hollywood vielbeschäftigten Schauspieler des britischen Kinos, legt Hobson denn auch offen als Karikatur an. Die täglichen Trinksitzungen und wankenden Heimwege zitieren gar nicht unangenehm das deftige Stummfilmkino mit seiner expressiven Körpersprache, und Laughtons Grimassen substanzlosen Männerstolzes sind Klassiker.

Natürlich bleibt dieser Film, der im Original "Hobson's Choice" heißt, nicht bei der Beschreibung eines Zustands. Es knirscht im Gebälk des Status quo, die Töchter möchten endlich heiraten dürfen, der Vater bockt, bis er schließlich den beiden Jüngeren die Männersuche erlaubt. Die dritte aber erklärt er kurzerhand zur chancenlosen alten Jungfer - er will sie als Gratis-Haushälterin und De-Facto-Geschäftsführerin behalten. Die derart Verärgerte (Brenda De Banzie) befiehlt einem der Schuhmacher, Willie Mossop (John Mills), augenblicklich ihr Verlobter zu werden und ein Konkurrenzgeschäft zu eröffnen. Nun steckt Willie in der Klemme: Er darf dem Chef nicht widersprechen, aber auch der Tochter des Chefs muss einer wie er stets zu Diensten sein.

David Lean (1908-1991) ist heute vor allem für seine epischen Groß- und Breitwandwerke "wie "Lawrence von Arabien" (1962) und "Dr. Schiwago" in Erinnerung, aber er war auch ein Meister der kleinen Form. "Herr im Haus bin ich" bleibt stets launig, ist nie überfrachtet - und zielt doch mitten hinein in die Hoffnungen der englischen Arbeiterklasse und der Frauen, dass es in der neuen Zeit nach dem Weltkrieg Mitsprache und Aufstiegsmöglichkeiten geben werde. Das alte System wird als marode gezeigt, soll aber nicht beiseite gefegt werden. Die Wiederversöhnung der Familie Hobson steht für eine Marktwirtschaft, die sich vitalisiert, indem sie Chancen für alle schafft. Heute mag dieser Film vergessen sein, damals hat man seine Mischung aus Brisanz und Eleganz erkannt: Er hat den Goldenen Bären der Berlinale bekommen.

(RP)
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