Die Qual der Stars mit dem Älterwerden

In "Die Wolken von Sils Maria" hadert Juliette Binoche mit dem Verblassen ihres Ruhms. Anstrengend, aber sehenswert.

Maria Enders ist auf dem Gipfel ihrer Karriere. Das verunsichert sie. Sie weiß, dass der Weg vom Zenit nur noch bergab führt, ihrem Glamour haftet schon jetzt ein Hauch Überreife an. Der Zuschauer begegnet Maria in einem Zug, der in die Schweizer Berge hinauf rumpelt, in Gedanken ans Abteilfenster gelehnt, während draußen auf dem schwankenden Gang ihre junge Assistentin Val eine Tonne Bürokratenkram zeitgleich am Handy regelt. Locker, als wäre so was ein Kinderspiel.

Maria, vom französischen Regisseur Olivier Assayas ("Der Schakal") grandios besetzt mit Juliette Binoche, soll in einer Neuauflage des Theaterstückes mitwirken, das sie vor zwanzig Jahren berühmt machte. Damals spielte sie noch die Rolle der jungen Verführerin Sigrid. Nun soll sie auf Wunsch des Regisseurs (Lars Eidinger) in die Rolle ihres Opfers, der älteren Helena, schlüpfen. Ihren früheren Part soll das angesagte Hollywoodstarlet (Chloë Grace Moretz) übernehmen.

In der Abgeschiedenheit der Alpen bei Sils Maria verschanzt Marie sich mit Val in einer Hütte. Sie will das Stück proben, sich aber vor allem darüber klar werden, wie sehr es ihr eigenes Leben spiegelt. Assayas überlässt diese kleine Bühne ganz seinen beiden Stars, die unterschiedlicher nicht sein könnten und einander doch perfekt ergänzen.

Juliette Binoche gibt die Diva alter Schule mit jener zeitlosen Abgeklärtheit, die in jeder ihrer Rollen etwas anders schillert. Ihre Maria hat eine schmerzliche, verletzte, fast autobiographisch wirkende Intensität. Ob am Abend auf einem Empfang elegant in glanzvoller Robe oder am nächsten Morgen ungeschminkt und in spröden Wollsachen in der Hütte, der Raum und die Aufmerksamkeit der Anwesenden muss stets Maria gehören. Und doch handelt der Film nicht nur von ihr. Kristen Stewart brilliert als Binoches idealer Konterpart. Val ist eine Tochter der Kommunikationsära: empathisch, zuverlässig, selbstbewusst. Und niemals bereit, ihre Seele zu verkaufen, nicht mal an ein egozentrisches Idol wie Maria. Von der romantisch pubertierenden Heldin der "Twilight"-Serie ist nichts mehr zu finden in dieser Gestalt. Stewarts starker Zynismus mag seine Wurzeln in ihren Anfängen als Teeniestar haben. Zur Botschaft des Films würde das passen.

Einmal liegt Val auf dem Sofa und erzählt Maria von dem jungen Starlet, das sich den Medien sehr erfolgreich mit der typisch schlampigen Mir-doch-egal-Attitüde einer jungen Angelina Jolie anbietet. "Vermutlich ist sie meine Lieblingsschauspielerin", sagt Val unbedacht. Darauf Maria sofort: "Du findest sie besser als mich." Während die Frauen gemeinsam die Rollen lesen, vermischen sich für Maria das Gestern und das Heute, Fiktion und Realität.

Der Film funktioniert als kluge Showbiz-Satire ebenso wie als tiefe Studie zweier Frauenseelen. Er wirft einen Blick auf die Kluft zwischen den Generationen, Autorenkunst und Actionkino. Von nackter Eifersucht erzählt Assayas auch. Eifersucht auf Jugend, Erfolg, auf eine Zukunft, die die eine schon hatte und die andere noch haben darf. Um Vergänglichkeit geht es, um Egos und Eitelkeiten, um die subtile, sich über Jahrzehnte aufbauende Qual des Alterns. Und vor allem um Verlangen, nach Anerkennung, Ruhm, Liebe. Maria gehörte einst ein Stück Ewigkeit, nun kann sie die Zeit nicht aufhalten. Sie verstrickt sich in der Anziehung, die Vals Jugend und die Arroganz des Starlets auf sie ausüben.

Aufreibend ist das phasenweise in der Enge der Hütte, in einer Reihe langer Dialog- und Leseszenen auch ermüdend. Aber zu erleben, in wie viele Schichten der Film Marias und Valentines sonderbare Intimität mit der Zeit auffächert und dabei den Überblick behält, ist die Mühe wert. Die unwandelbaren Alpen bieten dazu eine imposante Kulisse, wuchtig untermalt von der Musik Pachelbels und Händels. Ein simplerer Film hätte vielleicht Elemente eines Paranoiakrimis eingebaut. Marias und Vals Kräftemessen in Irrsinn eskalieren lassen oder die fein herausgespielte Erotik zwischen ihnen grob auf die Spitze getrieben. All das vermeidet Assayas. Im Wissen, dass Untertöne viel besser herauszuhören sind, wenn man seine Geschichte leise erzählt.

(RP)
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