Wittenberg Wittenbergs Tribut an Cranach junior

Wittenberg · Seine Vaterstadt zeigt ihn jetzt in einer spektakulären Ausstellung als Künstler, der seinem berühmten Vater ebenbürtig ist.

Ein berühmter Vater, noch dazu gleichen Namens, kann für einen Sohn ein Segen sein, eine Eintrittskarte in die gute Gesellschaft, aber auch ein Fluch, ein Schatten, aus dem der Junior nie so recht herauszutreten vermag. Lucas Cranach der Jüngere (1515-1586) ist so ein Fall. Nicht nur zeitlebens, sondern jahrhundertelang galt er als Epigone seines gleichnamigen Vaters (1472-1553), des Luther-Porträtisten und sächsischen Hofmalers. Eine Ausstellung in Wittenberg versucht nun, zum 500. Geburtstag, den Sohn aus dem Schatten des Vaters zu holen. Es ist kein ganz fernliegender Versuch, und er gelingt.

Es gibt vom Sohn, ganz anders als vom Vater, einer Art Popstar der Renaissance-Malerei, kein einziges echtes Selbstporträt. In Wittenberg machen sie aus dieser Not eine Tugend - das spektakuläre Entrée der Ausstellung stellt dem Besucher sowohl Cranach junior selbst als auch ein wichtiges Werk vor: Ein Grabbild von 1565 aus der Agnuskirche in Köthen zeigt das Abendmahl; der Mundschenk vorne rechts trägt Cranachs Züge und sein Wappen, die geflügelte Schlange, am Siegelring. Am Tisch aber sitzen neben Jesus zwölf Reformatoren als Jünger. Das sollte nicht nur den anhaltinischen Fürsten Joachim aufwerten, für dessen Grab das Werk entstand - natürlich ist die Prachtszene auch ein Hymnus auf die neue Zeit, die mit Luther anbricht. Mit anderen Worten: Dies ist religionspolitische Propaganda der Evangelischen. Man hört fast den empörten Aufschrei der Katholiken - oder "Altgläubigen", wie es Stadtführer im Lutherland heute noch gern sagen.

Hält sich das in einen zeitgenössischen Saal verlegte Abendmahl in Ausdruck und Komposition noch vornehm zurück - immerhin haben wir es hier mit einer Bibelerzählung zu tun, und der Herr selbst sitzt mit am Tisch -, packt Cranach 1582 mit dem "Weinberg des Herrn" (aus der Mönchskirche Salzwedel) gröberes Besteck aus. Zu sehen ist ein rebenbestandener Hang, geteilt durch einen Feldweg. Links richten Papst, Kardinäle und Mönche ein Chaos an; rechts fahren die vereinigten Reformatoren reiche Ernte ein, während Luther mit der Riesenharke die Bannbulle des Papstes fortkehrt. Schlagartig lässt die Szene klar werden, wie modern politische Kommunikation im 16. Jahrhundert war - dies ist eine gigantische Karikatur zur Ehre des Protestantismus.

Der jüngere Cranach ist also einerseits, ganz wie sein Vater, ein Propagandist der Reformation. Er beherrscht die Polemik wie beim Weinberg, aber auch das Verinnerlichte, Tröstende. Das zeigt die anrührende Grablegung von 1561, auf der der tote Christus mit seinem Gesicht dem Stifter Georg Niemeck ganz nah kommt - allein durch Gottes Gnade werde der Mensch gerettet, lehrte Luther; dies ist das Bild dazu. Cranachs politische Rolle wird auch deutlich im Totenbild des Reformators Philipp Melanchthon - es sollte der Welt zeigen: Seht, dieser hier ist friedlich entschlafen und eben nicht auf dem Sterbebett vom Teufel geholt worden. In die gleiche Kerbe schlagen die Holzschnitte des Herzogs Johann Friedrich von Sachsen, dem erst sein Vetter Moritz die Kurwürde stibitzte und der dann noch bei Mühlberg gegen Kaiser Karl V. eine vernichtende Niederlage erlitt. Cranach zeigt den Fürsten mit dicker Narbe auf der Wange nicht als Geschlagenen, sondern als tapferen Helden, als leidgeprüften Bekenner der evangelischen Sache, ja als lebenden Märtyrer. Bei der Taufe Jesu kniet er als einer von nur zwei Zuschauern am Jordan-Ufer - der andere ist Martin Luther.

Das ist die eine Seite des jüngeren Cranach: Akteur in den konfessionellen Kämpfen der Reformationszeit. Die andere, und auch darüber gibt es Aufschluss, ist der reiche Wittenberger Bürger (1565 sogar Bürgermeister) und selbstständige Künstler. Als Cranach der Ältere 1550 mit seinem Dienstherrn Johann Friedrich in die Gefangenschaft nach Augsburg zog, war der Sohn verantwortlich für die Familienwerkstatt, die in Sachsen längst zur Marke geworden war. Nun aber galt es Aufträge zu akquirieren, weil der Hof als dauernde Einnahmequelle ausgefallen war.

Cranachs Geschäftsmodell wird die Kirchenausstattung (was ihn nicht davon abhielt, auch mal eine nackte Nymphe zu malen). Die jungen evangelischen Gemeinden in Mitteldeutschland suchten Bildwerke für ihre Kirchen - Cranach und seine Leute lieferten sie. Es ist kein Zufall, dass die großformatigen Glaubensbilder die Juwelen der Wittenberger Ausstellung sind. Und dass Cranach keineswegs nur ein "gediegener Fortsetzer" war, wie ihm noch in den 1950er Jahren nachgerufen wurde, beweisen die 13 Porträtzeichnungen aus Reims, die Wittenberg mit besonderem Stolz präsentiert. Sie zeigen Angehörige des sächsischen Fürstenhauses und Verwandte, nur die Gesichter sind ausgearbeitet, die aber lebensecht, direkt, individuell.

Nebenbei ist die Ausstellung eine gute Gelegenheit, sich am Ausgangspunkt der Reformation umzutun, bevor 2017, zum 500. Jahrestag des Thesenanschlags, der Trubel losbricht. Wer nach Wittenberg kommt, sollte unbedingt auch einen Blick in die Stadtkirche St. Marien werfen. Die bewahrt ebenfalls ein prächtiges Altarbild mit einem Reformatoren-Abendmahl, allerdings vom älteren Cranach.

(RP)
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