Gastbeitrag Heinrich Heine als Star im Reich der Mitte

Gastbeitrag Der berühmteste Sohn Düsseldorfs schien in China wenigstens für einen Tag populärer als Volkswagen und Porsche und wurde in Peking, Shaoxing und Shanghai zu Deutschlands wichtigstem Botschafter.

 Die Delegation der Landeshauptstadt mit chinesischem Gastgeber (v.l.): Christoph auf der Horst von der Heine-Uni,  Cord Eberspächer (Direktor Konfuzius-Institut in Düsseldorf), Düsseldorfs Bürgermeister Wolfgang Scheffler, Zhou Lingfei (Lu-Xun-Enkel), Martin Roos (Vorstand Heinrich-Heine-Gesellschaft) und Sabine Brenner-Wilczek (Direktorin Heinrich-Heine-Institut).

Die Delegation der Landeshauptstadt mit chinesischem Gastgeber (v.l.): Christoph auf der Horst von der Heine-Uni,  Cord Eberspächer (Direktor Konfuzius-Institut in Düsseldorf), Düsseldorfs Bürgermeister Wolfgang Scheffler, Zhou Lingfei (Lu-Xun-Enkel), Martin Roos (Vorstand Heinrich-Heine-Gesellschaft) und Sabine Brenner-Wilczek (Direktorin Heinrich-Heine-Institut).

Foto: Roos/privat

Meine Vorstellung von China? Ganz einfach: ein Land von geflügelten Drachen und porzellanenen Teekannen, von Fahrrädern und einigen Säcken Reis, die ständig umfallen, Mao, Xi Jingpin, Huawei, der Film „Der letzte Kaiser“, die Kommunistische Partei, ein Mann mit Plastiktüten links und rechts in der Hand, der auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ einen Panzer anhält, und eine chinesische Super Soccer League, in der ausgehalfterte Ex-Superstars aus dem europäischen Spitzenfußball ihre Rente um viele Millionen Dollar pro Monat auffrischen. Das ist China. Und: Vor dem Chinesen muss man aufpassen.

So weit, so schlecht. Natürlich hätte ich es besser wissen müssen, ich eurozentrische Langnase! Pappnase! Hätte ich auch nur ansatzweise geahnt, wie gastfreundlich und aufgeschlossen die Chinesen sind! Wie hochmodern mittlerweile ihr Niveau in der Elektromobilität und ihre Präzision in der Bahn- und Flughafentechnik ist! Wie rasant sie riesige Wohnhäuser bauen! Hätte ich auch nur gewusst, wie lebendig ihr Interesse an der europäischen Literatur- und Geisteswissenschaft ist! Und an Heinrich Heine, dem größten Sohn Düsseldorfs!

Dass unsere kleine Düsseldorfer Delegation mit Wolfgang Scheffler (Bürgermeister, Grüne), Sabine Brenner-Wilczek (Leiterin Heinrich-Heine-Institut), Cord Eberspächer (Direktor Konfuzius-Institut), dem Heine-Philologen Christoph auf der Horst und mir als Vorstandsmitglied der Heinrich-Heine-Gesellschaft die Ehre hatten, das Reich der Mitte zu besuchen, verdankten wir Lu Xun – einem Mann, dessen Namen ich weder aussprechen konnte noch kannte. Glücklicherweise teilte ich diese Wissenslücke nicht nur mit der Mehrheit meiner Reisegruppe, sondern mit fast allen Kulturinteressierten, die ich hierzulande traf und treffe – und die nicht Sinologie studiert haben. Lu Xun (1881-1936) zu kennen, wird höchste Zeit. Denn dieser im chinesischen Shaoxing geborene und in Shanghai gestorbene universalgebildete Schriftsteller, empfindsame Freigeist und engagierte Gesellschaftskritiker, gilt heute als der Vater der modernen Literatur Chinas. Sein Erbe wird von der Lu-Xun-Stiftung verwaltet, die seit 2011 jährlich sogenannte Meister-Dialoge – also Wissenschaftssymposien – mit Schriftstellern, die Lu Xun zu seinen Lebzeiten gelesen und inspiriert haben, im In- und Ausland veranstaltet; darunter Victor Hugo, Tolstoi, Tagore oder Dante. Und in diesem Jahr Heinrich Heine.

Dass der Präsident der Lu-Xun-Stiftung niemand Geringeres als ein ehrwürdiges Mitglied der Familie Lu Xun ist, nämlich Zhou Lingfei, der sympathische und mittlerweile 66-jährige Enkel des großen Lu, ist ebenso Programm wie cleveres Marketing. Denn wer kann glaubwürdiger die Geister der Vergangenheit beschwören als Blutsverwandte?

Bei den internationalen Dialogen, die in der Höflichkeit und dem Respekt gegenüber dem Gast fast einem Staatsakt gleichen, muss auch die Delegation, die im Namen des Gegenmeisters am Symposion teilnimmt, einen Blutverwandten im Gepäck haben. Im Falle Heine fiel diese Rolle mir zu. Auch wenn der gute alte Heinrich eine Art Ururgroßonkel von mir ist, habe ich wahrscheinlich mit einem Rind, dessen knochenhaltiges Steak aus der Hochrippe ich gerade „very rare“ verzehre, mehr Blutstropfen gemeinsam als mit ihm.

Wie auch immer: Das Eis zwischen uns und Zhou Lingfei war gebrochen, als er mich fragte, wo meine Ähnlichkeit mit meinem Ahnherrn liegen würde, und ich auf meine Schnürsenkel zeigte. Dass er hingegen mit seiner Kurzhaarfrisur, dem Oberlippenbärtchen und der Figur seinem Großvater wie aus dem Ei gepellt ähnlich sah, war verdächtig. Nur eine Inszenierung? Oder doch eine Reinkarnation?

Irgendwann gewöhnten wir uns daran, dass wir als Delegation von unseren Gastgebern wie auf Händen getragen wurden, stets umgeben von Simultanübersetzern, Kameraleuten und Fotografen, die zum Teil rückwärts vor uns liefen, um ihre Bilder zu schießen. Heine-Rockstars on tour? Nein, nur nicht tollkühn werden. Es war Heinrich Heine, der hier mit Liedern und Musik aufgeführt und gefeiert wurde, und damit an diesem Tag in China populäre deutsche Supermarken wie Porsche und VW klar in die Tasche steckte. Wir hatten das Glück, davon zu profitieren: Ob bei der Lu-Xun-Heinrich-Heine-Konferenz an der Beijing Foreign Studies University (BFSU) in Peking, ob in dem prall gefüllten Audimax der Shaoxing University, ob beim Kulturaustausch mit der Bürgermeisterin Tao Gu von Shaoxing, ob in der gigantischen Bibliothek der Yuexiu Fremdsprachenhochschule von Zheijiang oder in dem eleganten gläsernen Atrium von „JIC Books“ in Hongkou in Shanghai – die chinesische Herzlichkeit war umwerfend. Ob wir das bei ihrem Gegenbesuch in Düsseldorf im November 2019 je zurückzahlen können? Dass mich chinesische Studenten baten, ihre chinesischen Heine-Ausgaben zu signieren, dass ich mit einem Foto neben Zhou Lingfei nun im Lu-Xun-Museum in Shaoxing hänge und dass ich wegen eines Übersetzungsfehler kurzerhand zum Oberhaupt der Familie Heine erklärt wurde, war zwar kurios und auch für die Chinesen ein großer Spaß. Ganz ernsthaft aber verbinden sie mit diesem Empfang vor allem die Hoffnung, kulturelle Beziehungen nach Deutschland und zu Düsseldorf knüpfen zu können. Es würde sich für alle lohnen.

Chinesen sind auch Träumer. Dass ihre Freiheit eingeschränkt ist, dass das Thema Menschenrechte ein Problem darstellt und dass sie in keiner Demokratie leben, ist ihnen bewusst. Aber das Wissen, dass sie zwar mit einem Bein noch im 19. Jahrhundert stehen, aber mit dem anderen im 22., macht sie zuversichtlich.

Wir sollten viel neugieriger werden. Nach China, das heute weit mehr darstellt als ein „Raritätenkabinett“, wie Heine einst schrieb, muss ich jedenfalls noch einmal reisen. Nächstes Jahr lädt die Lu-Xun-Stiftung eine Mark-Twain-Delegation ein. Ich schaue mal in meinen Stammbaum. Vielleicht bin ich ja irgendwo auch mit Meister Mark verwandt.

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