Ausstellung Frankfurt feiert Tizians feine Farben

Frankfurt/M. · In einer atemraubenden Ausstellung zeigt das Frankfurter Städel „Tizian und die Renaissance in Venedig“.

 Tizian (um 1488/90–1576): „Noli me Tangere“, um 1514.

Tizian (um 1488/90–1576): „Noli me Tangere“, um 1514.

Foto: Städel-Museum/The National Gallery Photographi

Wo gibt es das noch, dass Alte Meister aus den berühmtesten Museen der Welt in Deutschland zueinanderfinden? Frankfurt hat es wieder einmal geschafft. Nach der sehr erfolgreichen Rubens-Schau des vorigen Jahres feiert das Städelmuseum jetzt „Tizian und die Renaissance in Venedig“. Mehr als 20 Werke stammen vom Titelhelden selbst – die umfangreichste Auswahl, die je in Deutschland zu sehen war.

Zwei Großfotografien des Düsseldorfers Thomas Struth markieren das Ende des atemraubenden Rundgangs, Teile seiner zwischen 1989 und 2004 entstandenen Serie „Museumsbilder“. Das eine zeigt Besucher auf Polsterbänken in einem Saal des Louvre. Und wer gut aufgepasst hat, wird an der Wand in der unteren Reihe das dritte Bild von rechts wiedererkennen: Tizians Gemälde „Madonna mit dem Kaninchen“, das jetzt nach Frankfurt entliehen ist. Struths zweite Fotografie èröffnet einen Blick in die Galleria dell‘ Accademia in Venedig, dieses Schatzhaus am Canal Grande, das die weltweit größte Sammlung venezianischer Malerei von der Gotik bis zum Rokoko umfasst. Hinter den flanierenden Besuchern erhebt sich wandbreit Paolo Veroneses großformatiges „Gastmahl im Hause des Levi“ – untransportabel wie so vieles in diesem vielleicht eindrucksvollsten Museum der Erde.

Eigentlich ist die Accademia der rechte Ort, um in Venedigs Kunst des 16. Jahrhunderts einzutauchen, ebenso wie die zahlreichen Kirchen, in denen die Meister von Bellini bis zu Tizian ihre Signaturen hinterlassen haben. Die zweitbeste Möglichkeit bietet sich jetzt im Städel. Und die hat sogar einen Vorteil:  Sie bringt Ordnung in die Renaissance Venedigs, führt auf einer zeitgenössischen Landkarte vor, wie dicht die Künstler damals beieinanderwohnten und wie feinsinnig sie aufeinander Bezug nahmen.

Schon der erste Saal räumt mit einem Vorurteil auf. Die Renaissance bedeutete keinesfalls das Ende religiöser Motive in der Kunst, sondern sie markierte eine vorübergehend letzte Blüte dieses Genres. Veroneses Großformat „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ bringt Dramatik in die Szene. Während Maria im traditionell blauen Gewand den Jesusknaben säugt, stürzt ein Engel aus dem Himmel. Im Hintergrund wuchern Bäume und Sträucher, und eine, ja, sehr italienische Landschaft deutet sich an. Die religiöse Kunst, so zeigt sich hier, war zugleich der Beginn der Landschaftsmalerei in der Renaissance. 

In einem anderen Gemälde verlegt Veronese die Taufe Christi in eine europäische Vegetation. Unter den Augen von vier Putten und einer Taube, die aus dem Himmel einen hellen Strahl sendet, gießt Johannnes der Täufer aus einer Schale Wasser auf Jesu Haupt.

Die Meister der venezianischen Renaissance schöpften jedoch nicht nur aus Bibel und Mythologie, sondern erfanden auch selbst Motive – wie Veronese in „Amor mit zwei Hunden“ und Tizian in „Knabe mit Hunden in einer Landschaft“. Was es damit auf sich hat, darüber grübelt die Wissenschaft nach wie vor.

Müßig ist es demgegenüber, zu versuchen, die „belle donne“ bestimmten Personen zuzuordnen, Porträts schöner Frauen, welche die Künstler als Idealbilder verstanden. Ein Höhepunkt dieser Abteilung ist Tizians „Bildnis der Clarice Strozzi“: ein Kind in weißem Kleid, das einem auf einem Tisch sitzenden Hündchen einen ringförmigen Keks anbietet. Anders als im rätselhaften „Knaben mit Hunden“ liegt hier alles auf der Hand: Der Keks erinnert an die Halbmonde im Wappen der Strozzi, dieser alten Florentiner Patrizierfamilie, und das Bild verkörpert die Tugenden der vollkommenen Ehefrau: Schönheit, Keuschheit, Treue und Fruchtbarkeit. 

Auch noblen Männern ist ein Saal gewidmet. Im Mittelpunkt steht dort gleichfalls ein Mann. Tizian hat in diesem Gemälde seinem Farbenhändler Alvise dalla Scala ein Denkmal gesetzt, einer dunklen Gestalt mit Spatel und gar nicht so starkfarbigen Pigmenten in einem Kästlein. Anders als die konkurrierenden Florentiner Maler, die ihre Bilder von der Zeichnung her komponierten, gingen die Venezianer vom Zusammenklang der Farben aus. Wie geschickt sie dabei waren, das belegt Tizians „Tarquinius und Lucretia“, eine gewalttätige, dennoch verhalten wirkende Szene. Sie zeichnet sich durch groben Farbauftrag,  schrundige Partien und jenen „Beerenton“ aus, der typisch ist für die gesamte venezianische Malerei jener Zeit: ein Rot, das dem Geschehen etwas Schicksalhaftes verleiht. Zum Schluss verliert sich die Schau ein wenig in den Einflüssen, welche die Renaissance auf El Greco, Rubens, Tiepolo und am Ende auch Struth ausgeübt hat.

Zu den Bildern, die unbedingt im Gedächtnis haften bleiben, zählt Tizians frühes Gemälde „Noli me tangere (Christus erscheint Maria Magdalena)“, ein Andachtsbild, das seine Kraft aus Schlichtheit schöpft. Vor italienischer Landschaft erscheint Christus am Ostermorgen Maria Magdalena. Als sie sich ihm auf den Knien nähert und ihn berühren will, um den physischen Beweis der Auferstehung zu bekommen, gebietet ihr Christus Einhalt: „Rühre mich nicht an (noli me tangere). Denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.“ So steht es in der lateinischen Übersetzung des Johannesevangeliums.

Das Ocker von Jesu Haut korrepondiert mit dem Gehöft im Hintergrund, und das Gewand der Maria aus Magdala ist beerenrot wie alles, womit Venedigs Künstler Bedeutung in ihre Bilder legten. Die Kraft der Farben erwächst bei ihnen aus Zurückhaltung.

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