Kino-Kritik Ghetto-Boy auf Sendung

Düsseldorf (RP). Er stammt aus der Gosse, er saß im Knast, er kennt die Benimmregeln für Aufstiegswillige nicht einmal im Ansatz: Darüber lässt der schwarze Radiomoderator Petey Greene seine Hörer keine Sekunde lang im Zweifel. Das macht den ungewöhnlichen DJ zu einer politischen Figur in den USA der Sechziger.

 Don Cheadle in "Talk to me".

Don Cheadle in "Talk to me".

Foto: Central

Greenes Schnodderschnauze formuliert die Befindlichkeit der armen Mehrheit der Afroamerikaner im damals noch nicht zur Berieselungsmaschine verkommenen Medium des Rundfunks. Damit trägt sie nicht nur die Anliegen, Werte und anderen Sozialcodes einer geschmähten Gruppe nach außen. Sie wirkt in die Ghettos hinein gemeinschaftsbildend, sie beharrt wie die Reden und Predigten Martin Luther Kings darauf, dass es Sinn macht,sich mit der eigenen Lage und der Borniertheit der rassistischen weißen Mehrheitsgesellschaft auseinander zu setzen.

Die afroamerikanische Regisseurin Kasi Lemmons erzählt in "Talk To Me" also nicht bloß von Aufstieg und Sturzgefahren eines Entertainers, sondern von gesellschaftlichen Verwerfungen. Es ist faszinierend anzuschauen, wie sie dieses nicht ganz vergangene Amerika schildert, ohne das Rundfunkstudio zu ausgedehnten Exkursionen zu verlassen. Die hervorragenden Darsteller vermitteln noch in den Nebensächlichkeiten alltäglichen Umgangs, welcher Zwang von außen und welcher Frustrationsdruck von innen auf ihre Figuren einwirken: Don Cheadle ("Hotel Ruanda") als Petey Greene, Chiwetel Ejiofor als Greenes Schlips-und-Kragen- Gegenentwurf mit Instinkt für die Zeitenwende, Martin Sheen als weißer Radioboss.

Als 1968 Martin Luther King ermordet wird, als die Gewalt in den Straßen losbricht, als Greene seine größte Stunde erlebt und zur Verhinderung massenhaften Blutvergießens beiträgt, wird das Studiomikrofon sogar zum Zentrum der gesellschaftlichen Ereignisse. Aber so eng finden in diesem Film, der auch vom Niedergang Greenes erzählt, das Private und Politische nicht immer zusammen. Greene hat sein Leben öffentlich gemacht, er ist angeschlossen an den Großgenerator einer sozialen Gruppe, er steht unter Strom.

Nachdem er während der Unruhen und Straßenkämpfe zur respektierten Macht im Land emporwuchs, fehlt ihm die nächste Schrittmöglichkeit nach vorne oder oben, ja, die bloße Möglichkeit, sich auf diesem Niveau zu halten. Greene will in Verkennung seiner Talente und Möglichkeiten ins Fernsehen, und wie Cheadle aus einem in dieser Phase nicht immer überzeugenden Drehbuch den Zerfall eines Mannes entwickelt, das zeigt seine Klasse.

Bei ihm wird Greene kein Großkotz, der nun seine wahre Natur zeigt, sondern ein lebender Frosch in einem Kochtopf, in dem die Temperatur steigt. Vermutlich will Lemmons in Greenes Rauschzuständen und Orientierungslosigkeit die Desillusionierung mancher Bürgerrechtler spiegeln. Aber manchmal wirkt es, als konzentriere sie sich auf Greenes Probleme, um nicht die komplexe Gesellschaft abbilden zu müssen.

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