Neuer Krimi Donna Leon ist die Puste ausgegangen

Die Bestsellerautorin schickt einen melancholischen Commissario durch das sterbende Venedig.

 Bestsellerautorin Donna Leon.

Bestsellerautorin Donna Leon.

Foto: dpa/dpa, ade kde

Es kommt nur selten vor, dass der in seinem venezianischen Palast residierende Conte Falier seinen Schwiegersohn eindringlich, ja fast flehentlich zum Gespräch bittet. Commissario Guido Brunetti fürchtet schon, dass er seinem oft in dunkle Geschäfte verwickelten Schwiegervater aus einer kriminellen Patsche helfen soll. Doch es kommt anders. Der zerbrechlich gewordene Conte ist melancholisch gestimmt. Lange Zeit räsoniert er über Freundschaft und Familie, Tradition und Werte. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der Conte seine Sorgen offen auf den Tisch legt: Gonzalo Rodríguez de Tejeda, ein in Spanien geborener Freund aus alten Kindertagen, der es zunächst als Viehzüchter in Südamerika, später als Kunsthändler in Europa zu einem Vermögen gebracht hat und jetzt seinen Lebensabend in Venedig verbringt, scheint eine riesige Dummheit zu begehen.

Als bekennender Homosexueller ist er ohne Kinder geblieben. Nun aber will er seinen jungen Liebhaber, den kaum jemand richtig kennt und der manchen etwas halbseiden vorkommt, als Sohn adoptieren. Das späte Liebes- und Familien-Glück sei dem alten Mann von Herzen gegönnt. Doch mit der Adoption fiele im Todesfall das Vermögen an den jungen Schnösel. Was ist, wenn der junge Mann sich als Erbschleicher entpuppt und es darauf abgesehen hat, seinen reichen alten Liebhaber unter die Erde zu bringen?

„Ein Sohn ist uns gegeben“ ist Commissario Brunettis achtundzwanzigster Kriminalfall, den er unter der Regie von Autorin Donna Leon lösen muss. Doch bis sich der mit einem langwierigen Gespräch über familiäre Bande und freundschaftliche Verbindungen beginnende Roman wirklich zu einem „Kriminalfall“ entwickelt, fließt viel Wasser durch den Canal Grande.

Als Liebhaberin der Antike hat Donna Leon ihren Commissario oft mit philosophischen Gedanken bekränzt, als Fan barocker Musik hat sie ihn gern in die Oper geschickt. Neid und Hass, Mord und Mafia: Das waren manchmal nur Beigaben zu einer intellektuellen Schnitzeljagd. Die war fast immer ziemlich spannend und überraschend. Das kann man jetzt nicht behaupten: So zeitlupenhaft langweilig war noch keiner ihrer Venedig-Romane.

Vielleicht liegt es daran, dass sie – angeekelt von der Zerstörung ihrer Wahlheimat durch Massentourismus – Venedig nach Jahrzehnten verlassen hat und jetzt von den Schweiz Bergen aus auf ihre Lagunenstadt hinunterblickt. Ihre Trauer und Melancholie haben auch alle Romanfiguren, insbesondere den Conte und Brunetti angesteckt. Rasender Stillstand. Und dann geht auch noch Signorina Elettra in Urlaub und kann den Commissario nicht mehr mit Infos aus den Untiefen des Internets versorgen.

Irgendwann stirbt der reiche Gonzalo tatsächlich. Fällt einfach auf der Straße tot um. Herzversagen. Wieder kein Mord. Doch gemach. Als alles gesagt scheint und betrauert ist und der in einen arglosen Dämmerzustand versetzte Leser sanft weg döst, geschieht auf der Zielgeraden des Romans doch noch etwas: Eine fast aus dem Nichts auftauchende Person, die mit dem verstorbenen Gonzalo gut bekannt war, wird erwürgt. Ihr Tod und die Motive ihrer Ermordung werfen plötzlich ein ganz neues Licht auf die Adoption und die Erbschaft. Doch es ist zu spät. Die makabre Pointe wirkt wie aus dem Hut herbei gezaubert, als wäre Donna Leon nicht Besseres mehr eingefallen, um das grüblerische Tableau und das Nachdenken über Liebe und Leid, selbstbestimmten Lebenswandel und familiäre Abgründe in einen Krimi zu verwandeln.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass aus den düsteren Untiefen der verdrängten Vergangenheit manchmal Wahrheiten auftauchen, die zu tragischen und tödlichen Konsequenzen führen.

Info Donna Leon: „Ein Sohn ist uns gegeben“. Commissario Brunettis 28. Fall. Diogenes, 309 S., 24 Euro

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