Burkhard Spinnen: Der schwarze Grat

Autoren, die zu Beginn ihres Buches erst einmal erklären müssen, warum und wieso, auf welchen Wegen und Abwegen sie zum Stoff gelangten, ist - jawohl: nach Leserkräften zu misstrauen. Und Burkhard Spinnen braucht dafür acht Seiten.

<P>Autoren, die zu Beginn ihres Buches erst einmal erklären müssen, warum und wieso, auf welchen Wegen und Abwegen sie zum Stoff gelangten, ist - jawohl: nach Leserkräften zu misstrauen. Und Burkhard Spinnen braucht dafür acht Seiten.

Was ist in Spinnen nur gefahren, mag man sich fragen, hätte es der Münsteraner Autor nicht schon selbst gemacht. So ergeht es einem in diesem Buch fast auf jeder Seite. Immer stellt man die Fragen des Autors, und stets folgt man ihm. Das irritiert anfangs, am Ende aber ist man beglückt von der Lektüre eines der vielleicht ungewöhnlichsten Bücher dieses Frühjahrs.

Darum noch einmal von vorn: Burkhard Spinnen kommt auf einer dieser schrecklichen Hochzeiten mit einem älteren Mann ins Gespräch. Der heißt Walter Lindenmaier. Ist Unternehmer aus Laupheim. Hat viel zu erzählen, wie er sagt. Über seine Firma, die "Lindenmaier AG" heißt und ein Betrieb für allerlei Präzisions-Maschinen ist. Spinnen ist ein höflicher Mensch und hört ein wenig zu. Schließlich ist er gar so nett und reist Wochen später nach Laupheim zu einem ersten unverbindlichen Gespräch. Viele sollen folgen.

Das Buch "Der schwarze Grat" ist fast so etwas wie ein Protokoll. Sogar ein Tonbandgerät hat Spinnen mitgeschleppt, ein ganz neues, das sich erst bei akustischen Signalen einschaltet. Man ahnt es, das Misstrauen gegenüber der Technik bleibt bei diesem und bei allen nachfolgenden Unterredungen. So werden die Gespräche mit einem lauten Klatschen des Autors eingeleitet und mit seinen besorgten Blicken aufs Band begleitet. Läuft das Band? Es läuft. Ein schönes Motiv über den Einzug der Technik in die Kunst des Dichtens.

Das hat natürlich auch mit dem Stoff zu tun, genauer: mit der Geschichte der Lindenmaier AG. Die ist in der Tat so ungeheuerlich, dass selbst Wirtschaftsbanausen kaum von der Geschichte lassen werden. Von der Gründung des Unternehmens durch den Großvater Georg Lindenmaier, von den vielen Krisen nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Brand in der Fabrik, dem nur mit Mühe abgewendeten Konkurs, von den vielen kleinen Hoffnungen, den Intrigen, vom Taktieren.

Eigenartige Mixtur

Natürlich ist die Lindenmaier AG auch so etwas wie ein Sinnbild für die bundesdeutsche Wirtschaft. Aber so nah kommt einem das Schicksal des doch so fernen Unternehmens erst in dieser eigenartigen Mixtur aus Literatur und Dokumentation. Darin beherrscht Spinnens Faszination für diese Welt, die nie seine war, den Ton. Kompromisslos wird im Präsens erzählt, manch unerhörtes Ereignis dramatisch vorbereitet, wenn es etwa über den Manager heißt: "Doch jetzt begeht er nach allerlei mittelschweren und teilweise unvermeidbaren Fehlern einen ganz und gar unnötigen, ja einen geradezu fatalen."

Spinnen hat nichts hinzugedichtet, aber er hat die literarischen Momente des Lebens erspürt und beschrieben - schon der Name "Lindenmaier" wirkt erfunden, und "Herr Walter", der als Wissensinstanz den Gesprächen beiwohnt, wie eine Kunstfigur. Ein erstaunliches und staunen machendes Buch, mit dem man so schnell nicht fertig ist.

(305 Seiten)

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