Doris Dörrie: Das blaue Kleid

Der neue Roman "Das blaue Kleid" ist ein Trostbuch geworden. Sie geht in Sack und Asche. Er sammelt bunte Kleider: ein tomatenrotes Wickelkleid, ein cremeweißes aus Satin, ein meerblaues aus Organza, auch das gelbe Chiffoncape darf nicht fehlen. Die graue Maus und der bunte Vogel.

<P>Der neue Roman "Das blaue Kleid" ist ein Trostbuch geworden. Sie geht in Sack und Asche. Er sammelt bunte Kleider: ein tomatenrotes Wickelkleid, ein cremeweißes aus Satin, ein meerblaues aus Organza, auch das gelbe Chiffoncape darf nicht fehlen. Die graue Maus und der bunte Vogel.

Beide suchen sie nach Ausdrucksformen für ihre Trauer. Sie, Babette Schröder, hat ihren Mann durch einen Verkehrsunfall verloren, und das ausgerechnet auf der Paradiesinsel Bali. "Sie versinkt in ihren schwarzen Kleidern wie in einem Loch." Er, Florian Weber, leidet unter dem elenden Krebstod seines Lebens- und Geschäftspartners Alfred. "Keiner hat ihm gesagt, dass Trauer ein Schmerz in den Knochen ist, in jeder Zelle des Körpers."

Doris Dörrie, nicht nur in ihren Filmen, sondern auch in ihrer Prosa eine Meisterin des leichten Tons, führt in ihrem neuen Roman "Das blaue Kleid" die beiden Trauernden zusammen und schickt sie auf eine irrwitzige Seelenreise durch Elend und Schmerz, durch Lichtblicke und Hoffnungsschimmer und schließlich auf eine Touristentour der seltsamen Art nach Mexiko.

Jenes titelgebende blaue Kleid aus Organza bringt die beiden unterschiedlichen Menschen zusammen, die Witwe Babette und den schwulen Florian. Babette hatte es, einer plötzlichen Laune folgend, in der Boutique von Florian und Alfred gekauft. Es war Alfreds letzte Kreation. Nun plant Florian (um unter seine Lethargie einen Schlusspunkt zu setzen) eine Gedächtnismodenschau mit den Glanzstücken der vergangenen Kollektionen. Deshalb steht er eines Tages vor Babettes Tür, ihre Adresse stand auf dem Kassenzettel. Geteiltes Leid ist keineswegs halbes Leid, aber Florian und Babette verstehen einander, erweisen sich als gute Zuhörer.

Beim Nudelauflauf reden sie über Schuldgefühle und kleine Fehltritte, sie weinen und lachen und betrinken sich. In seiner Trauer jedoch ist jeder allein. Da ist auch Thomas, der emsige Jogger auf dem Friedhofsgelände, den Babette kürzlich kennen gelernt hat; keine wirkliche Hilfe, im Gegenteil, er sät neue Selbstzweifel. Schließlich kann es doch nur an ihr liegen, dass er heimlich Viagra benutzt! Florian glaubt eine Erklärung gefunden zu haben: "Sex macht alles anstrengend. Sex ruiniert alles. Sex ist die blödste Erfindung auf dem ganzen Planeten. Ohne Sex wäre das Leben friedlich und schön."

Gefühle tauen auf wie ein Block Tiefkühlspinat

Doch weder waghalsige Theorien noch verständnisinnige Worte helfen den beiden in ihrer Verzweiflung. Wenn also dies alles nichts nützt, dann hilft vielleicht eine Reise nach Mexiko, "wo die Toten an Allerheiligen gefeiert werden und man riesige Parties für sie auf dem Friedhof gibt?"

Doris Dörrie weiß genau, wovon sie schreibt. Sie selbst hat vor einigen Jahren ihren Mann verloren, der an Hirnhautentzündung gestorben ist. Jenes "dunkle Loch" also hat sie selbst durchlitten und durchlebt, weshalb sich in ihre hinreißende Geschichte über Liebe und Tod, über Trauer und Erinnerung, über tiefgefrorene Gefühle, die ganz langsam auftauen "wie ein Block Tiefkühlspinat", über die Angst vor einer neuen Liebe und die gleichzeitige Sehnsucht danach kein falscher Ton eingeschlichen hat.

Melancholie und Heiterkeit, Ausweglosigkeit und Zukunftshoffnung halten sich hier aufs Schönste die Waage. Mit großem Geschick versteht es die 1955 geborene Autorin, in ihrem Erzählen zwischen verschiedenen Zeitebenen zu balancieren: Erinnerung und gerade Erlebtes fließen eng ineinander. Doris Dörrie ist ein wunderbares Trostbuch gelungen nicht nur für Trauernde.

(177 Seiten)

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