NRW Die missverstandene Integration

Düsseldorf (RPO). Muslimische Jugendliche stehen im Alltag vor mehr Problemen als andersgläubige Altersgenossen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Autoren stellen die größten Schwierigkeiten für junge Muslime in Deutschland vor – und nennen Lösungsansätze für eine gelungene Integration.

 Laut einer Studie stehen muslimische Jugendliche im Alltag vor mehr Problemen als andersgläubige Altersgenossen.

Laut einer Studie stehen muslimische Jugendliche im Alltag vor mehr Problemen als andersgläubige Altersgenossen.

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Düsseldorf (RPO). Muslimische Jugendliche stehen im Alltag vor mehr Problemen als andersgläubige Altersgenossen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Autoren stellen die größten Schwierigkeiten für junge Muslime in Deutschland vor — und nennen Lösungsansätze für eine gelungene Integration.

Es ist ein sonniger Nachmittag, eine große Schülergruppe hat sich im Freien um zwei Grills herum versammelt. Die Jugendlichen sind auf Klassenfahrt und feiern den letzten Abend, an dem sie gemeinsam unterwegs sind. Was dem außenstehenden Beobachter verborgen bleibt: Auf einem der beiden Grills darf kein Schweinefleisch liegen. Die muslimischen Jugendlichen achten darauf, dass die Grillzange, mit der das Fleisch gewendet wird, nicht zuvor mit Schweinefleisch in Berührung gekommen ist. Eine Szene, die sich so oder ähnlich in Deutschland hundertfach wiederholt — und die verdeutlicht, wie das Zusammenleben von muslimischen Jugendliche mit Gleichaltrigen in der Gemeinschaft oftmals funktioniert.

In der überwiegenden Zahl der Fälle funktioniert das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen im deutschen Schulalltag, ohne dass es der Rede wert wäre. Doch es gibt auch Momente, in denen die Gemeinschaft der Schüler getrennt wird, weil unterschiedliche Traditionen nicht miteinander harmonisieren. Die Debatte um die Integration muslimischer Jugendlicher ist nicht neu, hat aber mit den umstrittenen Äußerungen von Thilo Sarrazin eine ungewohnte Schärfe gewonnen. Seitdem ist viel zu diesem Thema gesagt und geschrieben worden, zuletzt von Berlins Erstem Bürgermeister Klaus Wowereit. In seinem neuen Buch fordert der SPD-Politiker, "Integration muss man wollen. Dafür muss eine ganze Gesellschaft eine Haltung einnehmen und leben". Die Spannbreite zwischen den Äußerungen der beiden Politiker offenbart die Dimension des Konflikts, in dem sich muslimische Jugendliche in Deutschland heute befinden.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat nun in einer aktuellen Studie die Lebenswelten der dritten Einwanderergeneration untersucht und skizziert das Spannungsfeld, in dem sich die Jugendlichen befinden. Die deutsche Schullandschaft, so die Autoren, müsse ihre Integrationsbemühungen weiter intensivieren, um das Selbstverständnis der Jugendlichen als Mitglieder der Gesellschaft zu stärken. In vier Thesen stellen die Autoren die größten Herausforderungen für eine gelungene Integration dar.

Problem 1: Traditionsorientierte Lebensweise

Muslime, die tief in ihrer Tradition verwurzelt sind, haben es im alltäglichen Zusammenleben mit Nicht-Muslimen schwerer, so die Autoren. Bei der ersten Einwanderer-Generation, die als Hilfsarbeiter in den 1960er Jahren nach Deutschland kam, sei nicht ausreichend auf Bildungs- und Sprachkenntnisse geachtet worden. Dennoch hätten sie eine beeindruckende Integrationsleistung gezeigt. Doch die oftmals mangelnden Bildungschancen für Immigranten führten dazu, dass viele Zuwanderer aus dem arabischen Raum auch heute noch im unteren Einkommensniveau angesiedelt sind. "Im deutschen Bildungssystem gibt es keine Strukturen, um diese Ungleichheit zu umgehen", heißt es in der Studie.

Problem 2: Mangelnde Kooperation zwischen Eltern und Schule

Die größte Herausforderung für Kinder und Jugendliche aus traditionsbewussten muslimischen Familien ist der Spagat zwischen verschiedenen Wertesystemen, die ihnen in Familie und Schule vorgelebt werden. Während zu Hause Werte wie Respekt vor älteren Familienmitgliedern und Autorität eine große Rolle spielen, versucht die moderne Schulpädagogik, zu Selbstständigkeit und kooperativem Verhalten zu erziehen. Das kann im Alltag vieler Jugendliche durchaus zu widersprüchlichen Situationen führen: Wie wichtig ist Loyalität, wie wichtig Selbstdisziplin? In der Schule treffen all diese Werte aufeinander. Die Erwartungen der Eltern, die Ansprüche der Lehrer und die Kinder, die nicht wissen, in welcher Kultur sie sich zu Hause fühlen sollen. Die Schule, so das Fazit, besitze als pädagogische Institution für muslimische Kinder und Jugendliche eine besonders wichtige Funktion.

Problem 3: Mangelnde Anerkennung

Warum bleiben viele muslimische Jugendliche oftmals unter sich? Die mangelnde Anbindung der Lebenswelten zwischen Jugendlichen mit muslimischen und christlichen Wurzeln ist eines der Kernthemen, mit denen sich die Studie beschäftigt. Den Grund für diese teilweise Abschottung sehen die Autoren in der mangelnden Anerkennung ihrer Lebenswelten in Schule und Freizeit. "Wenn die Chance auf Anerkennung außerhalb des ethnischen Kollektivs als unwahrscheinlich eingeschätzt wird, wird dadurch die Bindung zur ethnischen Community forciert", schreiben Aladin El-Mafalaani und Ahmet Toprak. Werden muslimische Traditionen und Bräuche durch Mitschüler und Lehrer nicht als gleichwertig zu anderen Traditionen angesehen, suchen die Jugendlichen die Zugehörigkeit in Gruppen, von denen sie mehr Akzeptanz erwarten. Dabei kommt es zu einem besonderen Phänomen: Die Jugendlichen suchen die Nähe zur Kultur ihrer Eltern als Orientierungspunkt der eigenen Identität, ohne diese Kultur tatsächlich zu kennen. Statt des praktischen Wissens über den türkischen Alltag entwickeln sie das Bild einer türkischen Kultur, die von der Realität in großen Teilen abweichen kann. "Der Referenzpunkt ist nicht das tatsächliche Heimatland der Eltern, sondern die Wunschvorstellung der eigenen Herkunft", heißt es in der Studie.

Problem 4: Defizite der kulturellen Kenntnisse

Wer bei der Einschulung nicht ausreichende Sprachkenntnisse besitzt, um mit den anderen Kindern auf dem gleichen Niveau zu lernen, benötigt besondere Förderung — oder er ist bereits in diesem Alter benachteiligt. Ebenso wichtig für alle Schüler sind grundlegende Kenntnisse über kulturelles Allgemeingut, um im Unterricht ein gemeinsames Lernniveau zu finden. Wann immer dies in den Familien vernachlässigt werde, sei dies zum Nachteil der Kinder, so die Autoren: "Jugendliche benötigen Kenntnisse der deutschen Kultur, das Argument der Selbstbestimmung ändert daran nichts". Die interkulturelle Kompetenz sei demzufolge die Grundlage für gemeinsames Lernen.

Die Forderung an das deutsche Schulsystem, mehr integratives Lernen zu fördern, erfüllt das Krefelder Fichte-Gymnasium bereits. Dort ist man sich längst bewusst, welche positiven Eigenschaften muslimische Jugendliche in der Klassengemeinschaft beisteuern. "Muslimische Jugendliche lernen zu Hause einen respektvollen Umgang mit Erwachsenen. Das empfinde ich in der Schule als sehr wohltuend", sagt Schulleiterin Waltraud Fröchte. Auch, dass viele muslimische Jugendliche im Elternhaus mit klaren Hierarchien aufwachsen, wirke sich positiv auf den Schulalltag aus. Das einzige Problem, das in diesem Zusammenhang regelmäßig im Schulalltag auftrete, habe wenig mit den Schülern selbst zu tun: "Die Sprachprobleme der Eltern sind in den vergangenen Jahren nicht geringer geworden — im Gegenteil."

Der Autor hat selbst türkisch-deutsche Wurzeln. Er ist in seiner Jugend keinerlei ausländerfeindlichen Ressentiments begegnet.

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