Schwächelnde deutsche Konjunktur Der Aufschwung ist zu Ende

Berlin · Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute halbieren ihre Wachstumsprognose auf nur noch 0,8 Prozent. Eine Rezessionsgefahr sehen sie aber noch nicht. Ein harter Brexit könnte die deutsche Wirtschaft aber härter treffen.

 Wirtschaftsforscher Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), stellt am Donnerstag die neue Frühjahrsprognose der Ökonomen vor.

Wirtschaftsforscher Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), stellt am Donnerstag die neue Frühjahrsprognose der Ökonomen vor.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Der seit zehn Jahren andauernde Aufschwung in Deutschland ist nach Auffassung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bereits seit mehreren Monaten zu Ende. Vor allem die Industrie leide seit Mitte 2018 unter einer Schwächephase, während die Bauwirtschaft und die Dienstleister weiter gute Geschäfte machten. Die Institute stutzten ihre bisherige Wachstumsprognose von 1,9 Prozent für das laufende Jahr auf nur noch 0,8 Prozent. Dank der robusten Inlandskonjunktur werde das Wachstum ab Mitte des Jahres aber wieder anziehen. Im kommenden Jahr erwarten die Ökonomen wieder ein Wachstum von 1,8 Prozent, davon allerdings entfallen 0,4 Prozentpunkte im Schaltjahr 2020 auf die höhere Zahl der Arbeitstage.

Eine Rezessionsgefahr sehen die Institute derzeit noch nicht, dazu seien die Investitionen der Unternehmen noch zu kräftig. Allerdings könne ein harter Brexit auch das Wachstum in Deutschland stärker bremsen. Es würde bei einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens „deutlich niedriger“ ausfallen, sagte Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) am Donnerstag bei der Vorstellung der Gemeinschaftsdiagnose der Institute.

Arbeitsmarkt und Einkommen wachsen der Prognose zufolge weiter kräftig trotz der Konjunkturabkühlung. Die Zahl der Erwerbstätigen steige zwar weniger als in den vergangenen Jahren, nehme aber 2019 um 430.000 auf 45,3 Millionen und 2020 um weitere 265.000 zu. Die Zahl der Arbeitslosen werde von 2,3 auf 2,2 Millionen 2019 und weiter auf 2,1 Millionen 2020 sinken. Wegen der Arbeitskräfteknappheit in vielen Berufen würden die Nettolöhne 2019 um 4,6 und 2020 nochmals um 3,4 Prozent zulegen. Die Inflationsrate bleibe mit 1,5 und 1,8 Prozent moderat.

Infolge der steigenden Einkommen nehmen laut der Prognose auch die Steuer- und Beitragseinnahmen 2019 und 2020 um jeweils gut drei Prozent zu. Der Staat werde weiterhin hohe Überschüsse erzielen. Mit 42 Milliarden Euro 2019 und 36 Milliarden 2020 seien diese aber deutlich geringer als in den Vorjahren. Vor allem die Leistungen der Rentenversicherung würden erheblich ausgeweitet. Ab 2025 seien die höheren Rentenausgaben nicht mehr aus Beitragsmitteln zu finanzieren. Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung von derzeit neun Prozent der Steuereinnahmen oder 100 Milliarden Euro werde ab 2025 verdoppelt werden müssen, wenn Rentenniveau und Beitragssätze weiter konstant gehalten werden sollen, sagte Holtemöller. Das lasse erwarten, dass dann die Steuern stark erhöht werden müssten, was wiederum Konsum und Investitionen bremsen würde. Rechnerisch müsste die Einkommensteuer um sechs Prozentpunkte steigen.

Die Konjunkturabkühlung sei „nicht so dramatisch, dass darauf mit Konjunkturpaketen reagiert werden müsste“, so die Institute. Allerdings lasse die Schuldenbremse zu, dass der Bund in einer noch stärkeren Schwächephase ein Defizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fahren dürfe. Abhängig von der Wirtschaftslage könnte sich der Bund also mit bis zu zehn Milliarden Euro im Jahr neu verschulden, um die Konjunktur zu stützen. Das Konzept der „schwarzen Null“ im Haushalt mache aus ökonomischer Sicht ohnehin keinen Sinn, so Holtemöller. Er ging sogar noch weiter: „Man kann darüber nachdenken, ob die Schuldenbremse zu weitgehend ist“. Sie sei möglicherweise zu eng gestrickt, um in konjunkturell schlechteren Zeiten mit Steuerentlastungen oder mehr staatlichen Investitionen reagieren zu können.

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