Kompliziertes Steuerrecht Hunderttausenden drohen neue Steuerbelastungen

Düsseldorf/Berlin (RPO). Steuer-Chaos in Deutschland: Im kommenden Jahr müssen Hunderttausende Arbeitnehmer voraussichtlich mehr Geld an den Fiskus abtreten. Dabei wollte die Regierung eigentlich für eine Steuerentlastung sorgen. Zudem drohen vielen Rentnern Nachzahlungen. Das Durcheinander zeigt: Eine Vereinfachung des Systems ist notwendig.

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Foto: ddp

Das deutsche Steuersystem ist eine komplizierte Sache - mitunter so kompliziert, dass selbst die Regierung den Überblick verliert. Eigentlich wollte die schwarz-gelbe Koalition den Steuerzahler im kommenden Jahr entlasten. Doch genau das Gegenteil ist bei hunderttausenden Arbeitnehmern der Fall. Auf sie kommen 2010 sogar Mehrbelastungen zu.

Die Mehrbelastung beträgt je nach Einkommenshöhe bis zu 9,16 Euro im Monat, berichtet die "Bild" unter Berufung auf Berechnungen des Bundes der Steuerzahler (BdSt). Betroffen sind demnach vor allem kinderlose Arbeitnehmer mit Steuerklasse III und einem monatlichen Bruttoeinkommen zwischen 1685 und 2700 Euro. Besonders pikant: Auch Alleinerziehende mit einem Kind (Steuerklasse II) und einem monatlichen Bruttolohn zwischen 1020 und 1200 Euro müssten mit Mehrbelastungen von bis zu 3,25 Euro pro Monat rechnen.

Der Bund der Steuerzahler begründe die höhere Steuerlast mit dem Wegfall der so genannten Günstigerprüfung in diesen Fällen. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Reiner Holznagel, sagte der Zeitung, dass "Hunderttausende Arbeitnehmer" von den Mehrbelastungen betroffen seien. Sie könnten nur über eine Steuererklärung im Folgejahr die mehr bezahlten Steuern zurückfordern.

Einen Teil ihrer Steuern können rund eine Million Rentner zurückfordern, wie die "WAZ"-Gruppe am Wochenende unter Berufung auf ein Arbeitspapier der Spitzenbeamten aus den Finanzbehörden der Länder berichtete. Gleich mehrere Millionen Senioren müssen sich allerdings auf Nachzahlungen gefasst machen.

Hintergrund der Neuberechnungen ist der seit Oktober vorgeschriebene Datenabgleich zwischen Rentenversicherern und Finanzämtern. Alle Banken, Sparkassen, Lebensversicherer und die Deutsche Rentenversicherung müssen den Finanzbehörden seitdem melden, in welcher Höhe sie Altersbezüge ausgezahlt haben. Dadurch sehen die Finanzämter, welche Rentner dem Staat Steuern schulden.

Regierung unter Zugzwang

Wegen des Durcheinanders bei den Steuern forderte BdSt-Chef Holznagel die Bundesregierung zum Handeln auf. "Das Finanzministerium sollte die Berechnung der Lohnsteuer umgehend ändern und nachbessern", sagte er.

Die FDP war bereits im Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen angetreten, das Steuerrecht deutlich zu vereinfachen und ein Stufenmodell einzuführen. Das Thema fiel bei den Koalitionsverhandlungen allerdings unter den Tisch und soll erst gegen Ende der Legislaturperiode wieder geprüft werden.

Auch Experten fordern seit Jahren, das komplizierte deutsche Steuerrecht zu entwirren. Vor allem die vielen Ausnahmen und verdeckten Subventionen sind Anlass zur Kritik. Erst am Wochenende wurde eine Studie bekannt, die eine Streichung von Steuerprivilegien fordert.

Die Enthüllung über die Mehrbelastungen zum Jahresbeginn kommen zur Unzeit, denn die geplanten Steuerentlastungen drohen für die Koalition zur Zerreißprobe zu werden. Nach Schleswig-Holstein hat nun auch Sachsen mit einer Ablehnung der Pläne im Bundesrat gedroht, sollten die befürchteten Steuermindereinnahmen der Länder nicht ausgeglichen werden. "Nur wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann Sachsen dem Gesetz zustimmen", sagte Ministerpräsident Stanislaw Tillich dem "Handelsblatt". Als Kompensation regte der CDU-Politiker einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer an.

SPD kündigt eigenes Steuerkonzept an

Unterdessen kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel einen umfassenden Gegenvorschlag zur Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung an. Der "Bild" sagte er: "Wir werden in den kommenden Monaten ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Steuer- und Abgabenpolitik vorlegen." Darin gehe es vor allem um Entlastungen für Unternehmen, die investieren wollten.

"Steuersenkungen für Besserverdienende bringen nichts", sagte Gabriel. Zudem zahlten 40 Prozent der Menschen in Deutschland gar keine Einkommenssteuer. "Die hätten also gar nichts von Steuersenkungen", sagte der SPD-Chef weiter. Gerade diese Menschen seien aber auf kostenfreie Kindergärten und gute Schulen angewiesen.

(DDP/Reuters/AFP/AP/ndi)
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