Berlin Neue Erbschaftsteuer bis Monatsende

Berlin · Bund und Länder müssen sich rasch auf neue Regeln für die Verschonung von Firmenerben einigen. Das Verfassungsgericht droht bereits mit einem Vollstreckungsbeschluss. Familienunternehmen mahnen zur Eile.

Berlin: Neue Erbschaftsteuer bis Monatsende
Foto: V. Weber

Die Zeit drängt: Eigentlich sollte die Politik schon bis Ende Juni eine Reform der Erbschaftsteuer auf den Weg bringen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt, weil es die geltenden Regeln zur Steuervergünstigung von Firmenerben für verfassungswidrig hält. Doch Bund und Länder konnten sich nicht einigen. Gestern unternahmen sie im Vermittlungsausschuss einen neuen Anlauf. Der vertagte die Verhandlungen gestern Abend allerdings nach nur kurzen Beratungen auf den 21. September. Bis dahin soll eine 16-köpfige Bund-Länder-Arbeitsgruppe mögliche Kompromisslinien zu den künftigen Steuerbegünstigungen für Firmenerben ausloten. Am 22. und 23. September könnten Bundestag und Bundesrat abstimmen.

Im Kern geht es um die Frage, wie weit der Staat Firmenerben entgegenkommen darf, wenn sie den geerbten Betrieb samt Jobs erhalten. Nach den Plänen der Bundesregierung können Unternehmen mit einem Wert von 26 Millionen Euro weitgehend steuerfrei vererbt werden. Ab Betriebsvermögen von 26 Millionen Euro soll es eine Bedürfnisprüfung geben, bei der auch das private Vermögen berücksichtigt werden soll. Ab 90 Millionen Euro soll grundsätzlich Erbschaftsteuer fließen.

Die Ausnahmen gehen den rot-grün regierten Ländern zu weit. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) fordert Verschärfungen: "Die CSU hat dafür gesorgt, dass der Gesetzentwurf soweit ausgehöhlt worden ist, dass bei Erbschaften bis zu 90 Millionen praktisch keine Steuer zu zahlen wäre und darüber hinaus mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht." Das sei weder vermittelbar noch verfassungsgemäß. Wenn man sich nicht aufeinander zubewege, entscheide Karlsruhe, sagte er gestern.

In der Tat. Das Verfassungsgericht ist verstimmt, dass Bund und Länder seine Vorgaben einfach ignorieren. Der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, hat angekündigt, dass sich das Gericht Ende September selbst mit der Erbschafssteuer befassen werde. Die Richter haben drei Möglichkeiten, falls die Politik sich weiter nicht bewegt.

Erstens: Sie setzen der Politik eine neue Frist. Doch so viel Langmut ist unwahrscheinlich. Denn das Verfassungsgericht hatte bereits im Dezember 2014 die bestehende Regelung gekippt und dem Gesetzgeber eigentlich genug Zeit gegeben.

Zweitens: Die Richter setzen die aktuell geltenden großzügigen, aber eben verfassungswidrigen Verschonungsregeln außer Kraft. Das würde bedeuten, dass es vorläufig überhaupt keine Vergünstigungen für Firmenerben mehr gibt. Das wäre für die betroffenen Unternehmen die härteste Lösung, und sie ist unwahrscheinlich.

Drittens: Das Gericht schafft selbst eine Übergangsregelung, bis Bund und Länder sich auf eine endgültige Lösung geeinigt haben. Richter Michael Eichberger hatte auf einem Symposium im Januar bereits auf diese Möglichkeit hingewiesen. Danach kann Karlsruhe in solchen Fällen Übergangsregelungen erlassen und per "Vollstreckungsbeschluss" durchsetzen.

Damit hat Karlsruhe 2013 schon einmal gedroht, als sich die Politik beim Thema Homo-Ehe nicht einigen konnte. Die Verfassungsrichter forderten damals, dass der Fiskus gleichgeschlechtliche Paare bei der Grunderwerbsteuer ebenso behandelt wie Ehepaare. Das Ultimatum wirkte: Noch bevor die Richter den angedrohten Vollstreckungsbeschluss formulierten, rauften sich Bund und Länder zusammen.

Die Wirtschaft mahnte die Politik gestern, sich schnell zu einigen. "Die starre Verweigerungshaltung der Länder muss endlich ein Ende finden", erklärte Markus Kerber, Chef des Industrieverbands BDI. "Unsere Familienunternehmen brauchen rasche Rechtssicherheit."

Wie groß die Verunsicherung der Wirtschaft ist, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danach haben viele Familienunternehmer aus Furcht vor existenzbedrohenden Verschärfungen ihr Unternehmen noch rasch an ihre Kinder verschenkt - selbst wenn diese noch klein sind. Von 2011 bis 2014 gab es laut DIW steuerfreie Firmenübertragungen im Wert von 144 Milliarden Euro. Vermögen für 30,8 Milliarden ging dabei an 1289 Kinder unter 14 Jahren, 6,5 Milliarden an 754 Jugendliche zwischen 14 und 17.

Die Erbschaftsteuer ist auch Thema des Koalitionstreffens von Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) am Sonntag.

(anh)
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