Studie Aufschwung kommt bei Kleinverdienern nicht an

Berlin · Der anhaltende Wirtschaftsaufschwung in Deutschland kommt einer Studie zufolge bei weitem nicht bei allen Bürgern an. Die unterste Einkommensgruppe geht leer aus oder hat sogar Einbußen zu verkraften.

 Bei vielen bleibt trotz des Aufschwungs nicht mehr im Geldbeutel (Symbolbild).

Bei vielen bleibt trotz des Aufschwungs nicht mehr im Geldbeutel (Symbolbild).

Foto: dpa, lim skm

Demnach sind zwischen 1991 und 2015 die realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte im Schnitt um 15 Prozent gestiegen. Davon haben laut Untersuchung die meisten Einkommensgruppen profitiert - aber nicht die untersten. Das geht aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Basis sind die aktuellesten verfügbaren Daten der Längsschnittstudie Soziooekonomisches Panel.

Deutschland geht ins neunte Wachstums-Jahr in Folge. Bundesregierung und führende Forschungsinstitute erwarten einen fortgesetzten wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit soll Prognosen zufolge weiter zurückgehen.

Zwischen 1991 und 2015 allerdings waren bei den zehn Prozent der Personen mit den niedrigsten Einkommen, die monatlich im Durchschnitt real über rund 640 Euro verfügen, laut Studie die Haushaltseinkommen rückläufig. Demgegenüber stiegen die Einkommen der Top-Verdiener zwischen 1991 und 2015 im Schnitt um 30 Prozent.

Das bedeute aber nicht zwangsläufig, dass die Menschen, die in den 1990er Jahren niedrige Einkommen erzielten, heute individuell schlechter gestellt seien, erläuterte Studienautor Markus Grabka. Denn sie könnten sich mittlerweile in einer anderen Einkommensgruppe befinden. „Aber es zeigt, dass bei weitem nicht alle von der positiven Einkommensentwicklung, die in den letzten Jahren im Wesentlichen dank der boomenden Wirtschaft und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit stattgefunden hat, profitiert haben.“

Statistische Gründe spielen eine Rolle

Das habe mehrere Gründe: zum einen die Ausweitung des Niedriglohnsektors, zum anderen der wachsende Bevölkerungsanteil älterer Menschen - deren Alterseinkommen seien im Schnitt geringer als das Erwerbseinkommen. Eine Rolle spiele außerdem die Zuwanderung, die seit 2007 zugenommen habe. „Diese neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben aber in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in der Regel niedrige Einkommen“, erläuterte Co-Studienautor Jan Goebel.

Das zeige sich auch daran, dass der Anteil der Personen mit direktem Migrationshintergrund, die also selbst nach Deutschland zugewandert seien, an den niedrigen Einkommensgruppen zunehme. Allerdings zeigten die verfügbaren Daten, dass sich die Einkommensposition der Migranten verbessere, je länger sie sich im Land aufhalten.

Die Opposition und Sozialverbände forderten die Bundesregierung zu mehr Anstrengungen auf. Die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae forderte zielgenaue sozialpolitischen Maßnahmen für bezahlbares Wohnen, Aus- und Weiterbildung und gegen Kinder- und Altersarmut. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, sagte, Menschen mit geringen Löhnen und Renten würden immer mehr abgehängt. „Um die voranschreitende soziale Spaltung zu stoppen, brauchen wir dringend eine gerechte Steuerpolitik, einen Mindestlohn über zwölf Euro und eine Stabilisierung der Renten.“

Armutsrisiko deutlich gestiegen

Die DIW-Studie legt außerdem dar, dass in den vergangenen Jahren das Armutsrisiko gestiegen sei. Die Schwelle liegt laut Definition bei einem verfügbaren Nettohaushaltseinkommen von 1090 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Die Armutsrisikoquote, also der Anteil der Bevölkerung, deren Einkommen unter dieser Schwelle liegt, lag demnach im Jahr 2015 bei 16,8 Prozent. In den 1990er Jahren habe diese Quote noch elf Prozent betragen, im Jahr 2014 knapp 16 Prozent.

Ein relevanter Teil des Anstiegs sei auf die Zuwanderung zurückzuführen. Menschen mit direktem Migrationshintergrund hätten im Jahr 2015 eine Armutsrisikoquote von 29 Prozent, Personen mit indirektem Migrationshintergrund - von denen mindestens ein Elternteil zugewandert ist - von 25 Prozent. In diesen Zahlen seien sind die Menschen, die erst im Jahr 2015 und später nach Deutschland zugewandert sind, noch nicht enthalten. Eine wesentliche Aufgabe für die Gesellschaft als Ganzes und insbesondere für die Politik sei es, die neu zugezogenen Migranten schnell und zielgenau zu unterstützen, damit ihre Integration rasch erfolge und sie schnell höhere Einkommen erzielen können, so Goebel.

(felt/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort