Kolumne „Anstoß“ Zynischer Fußball

Düsseldorf · Italien leidet schwer am Corona-Virus. Trotzdem denken führende Klubs laut über den Zeitpunkt der Saisonfortsetzung nach. Viel zu früh.

 Paulo Dybala von Juventus Turin.

Paulo Dybala von Juventus Turin.

Foto: AP/Marco Alpozzi

In Italien sterben die Menschen am Coronavirus in unvorstellbarer Zahl. Bis Freitag wurden in den grausigen Statistiken rund 14.000 Fälle geführt. Mitten in dieser Katastrophe haben führende italienische Fußball-Klubs nichts Besseres zu tun, als über den Zeitpunkt für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu diskutieren. Über die baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs, wohlgemerkt.

Auf die Frage, ob das zynisch ist, gibt es eine leichte Antwort: Sie heißt ja. Die etwas schwierigere lautet: Es klingt zynisch, aber es kann den fußballverrückten Italienern Hoffnung geben, sich zumindest über eine Rückkehr zur Normalität Gedanken zu machen. Eigentlich ist es aber viel zu früh dafür.

Das wissen vermutlich sogar die Vereinsbosse in diesem arg geplagten Land. Sie können allerdings darauf verweisen, dass ihnen Sportminister Vincenzo Spadafora schon vor einem halben Monat derartige Gedankenspiele nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich vorgedacht hat. Er war es, der Mitte März eine Rückkehr des Spielbetriebs für Anfang Mai in Aussicht stellte. Vielleicht muss man ihm wie auch anderen zugute halten, dass sich die Lage beinahe täglich verändert und die Prognosen für die nähere Zukunft mit ihnen. Etwas mehr Zurückhaltung wäre aber sicher schon deshalb angezeigt gewesen, weil er wenigstens das bereits hätte wissen müssen.

Nun muss er in großen Zügen zurückrudern. Mittlerweile will er von der eigenen Ankündigung nichts mehr wissen. Vielmehr nimmt er nun die großen Klubs des italienischen Profifußballs ins Gebet und sagt: „Von den Serie-A-Klubs erwarte ich mir einen echten Willen zur Veränderung: Die großen Vereine leben in einer eigenen Welt und über ihre Möglichkeiten, angefangen bei den millionenschweren Gehältern der Spieler. Sie müssen begreifen, dass nichts mehr wie früher sein wird."

In der Sache hat er sicher Recht, und diese Mahnung könnte wahrscheinlich überall angebracht sein, wo der Profifußball um sich und seine eigene Welt kreist. Also in Deutschland ebenfalls. Auch wenn in der Bundesliga vergleichsweise ordentlich gewirtschaftet wird, ist es doch eine geschlossene Welt des Profifußballs, die den alltäglichen Sorgen ihres Publikums nicht begegnet. Besser: Die den alltäglichen Sorgen ihres Publikums bis jetzt nicht begegnet ist. Die Corona-Krise hat das verändert. Die Last eines Alltags, der sich in der simplen Frage der Gesundheit erschöpft, ist auch bei den Profiklubs angekommen. Spieler haben das durch Spendenaktionen bewiesen, Fußballer zeigen, dass diese Situation nicht an ihnen vorübergeht.

Trotzdem denken sie mit ihren Funktionären natürlich auch darüber nach, wann und wie es weitergehen wird im Spielbetrieb. Das gehört einfach dazu, weil es buchstäblich eine Aussicht gewährt, eine Perspektive. Diese Überlegungen muss zurzeit aber niemand an die große Glocke hängen. Denn das wäre respektlos gegenüber den Opfern.

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