Rollstuhl-Tischtennisspielerin Sandra Mikolaschek „Jeder hat ein Handicap“

Düsseldorf · Die besten deutschen Rollstuhl-Tischtennisspieler spielen für Borussia Düsseldorf. Sandra Mikolaschek (21) ist eine von ihnen. Sie misst sich nicht nur mit der Elite im Para-Sport, sondern besteht auch gegen nicht-behinderte Gegner.

 Sandra Mikolaschek bei der Para-Tischtennis-WM 2018 im slowenischen Celje (Archiv).

Sandra Mikolaschek bei der Para-Tischtennis-WM 2018 im slowenischen Celje (Archiv).

Foto: imago/Eibner Europa/imago/EIBNER/EXPA/SPORTIDA

Für Sandra Mikolaschek (21) gab es nur den einen Weg. Und der führte zum Tischtennis. Das mag erstaunlich klingen, denn Mikolaschek sitzt seit frühester Kindheit im Rollstuhl. Sperriger Fachbegriff: inkomplette Querschnittslähmung. Weil ihre Eltern aber nicht wollten, dass sie nach der Schule nur zu Hause sitzt, schickten sie die Tochter zum Sport. In dem Tausend-Seelen-Dorf Wimmelburg (Sachsen-Anhalt) hatte sie allerdings keine richtige Wahl. Es gab nur einen Sportverein mit zwei Abteilungen. „Fußball ging natürlich nicht“, sagt Mikolaschek, „also spielte ich Tischtennis.“ An Selbstbewusstsein, und das ist in dem schnellen Rückschlagspiel elementar wichtig, hatte es ihr ohnehin nie gemangelt. 2007 hat sich das schon gezeigt.

Die damals Elfjährige nahm an einer Sichtung des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) teil. „Sie kam als talentierte Anfängerin und hat mir erst einmal erklärt, wie man Tischtennis spielt“, erinnert sich Hannes Doesseler. Der A-Lizenz-Trainer ist heute wichtigster Mann an der Seite von Mikolaschek, die sich anschickt, eine der besten Rollstuhl-Tischtennisspielerinnen der Welt zu werden. Erst hatte sie ein Leben wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter. Mit den Jahren aber schaffte sie es dank ihres Ehrgeizes – und einiger guter Entscheidungen – sportlich durchzustarten.

Mikolaschek entschied sich 2013, ihre Heimat zu verlassen. Sie zog nach Düsseldorf und wechselte zum deutschen Rekordmeister Borussia Düsseldorf. Sie schloss die Schule ab, nahm vor fünf Semestern ihr Jura-Studium auf – und feilt parallel dazu mit ihrem Trainer an ihrer Sportkarriere. Morgens Strafrecht, nachmittags Training. Das hat bislang offensichtlich ziemlich gut funktioniert.

Die 21-Jährige startet in der Wettkampfklasse vier (niedrige Querschnittlähmung). Sie ist neunmalige deutsche Meisterin. Vor wenigen Monaten wurde sie mit ihren Teamkollegen Thomas Schmidberger und Valentin Baus mit Borussia Düsseldorf zum dritten Mal in Folge deutscher Mannschaftsmeister in der Bundesliga im Rollstuhl-Tischtennis. Dass Düsseldorf nicht nur paralympischer Stützpunkt ist, sondern auch eine Hochburg der Top-Spieler, liegt also nicht allein an Mikolaschek. Auch Baus und Schmidberger zählen in ihrem Fach zu den Besten weltweit.

Im Einzel zog Mikolaschek 2014 in Peking ins WM-Viertelfinale ein, 2016 wurde sie bei den Paralympics in Rio de Janeiro Fünfte und im vergangenen Jahr, da holte sie sich den Vize-Europameister-Titel. „Das war ein großartiger Moment“, sagt sie. Aktuell liegt sie in der Para-Tischtennis-Weltrangliste der Wettkampfklasse vier auf dem vierten Rang und träumt schon von einer Medaille bei den Paralympics.

Spannender ist noch, dass sie nicht nur in der Weltspitze unterwegs ist. An den Wochenenden ist Kontrastprogramm gegen nicht-behinderte Sportler angesagt. Ihr Alltag spielt sich in der NRW-Liga ab.

Mikolaschek schlägt auch in der zweiten Damen-Mannschaft von Borussia Düsseldorf auf. Die NRW-Liga ist die sechsthöchste Klasse in Deutschland. Mikolascheks Bilanz bislang: sieben Siege, eine Niederlage. „Das Niveau ist mit dem im Para-Sport vergleichbar. Meine Einsätze dienen dazu, dass ich Spielpraxis bekomme“, sagt die Düsseldorferin. In der Rollstuhl-Bundesliga gibt es nur vier Spieltage pro Saison.

Rollstuhl-Tischtennis unterscheidet sich unwesentlich von dem der „Fußgänger“, also der nicht-behinderten Sportler. Es gibt nur zwei Regeländerungen: Im Doppel müssen Mikolaschek und ihre Partnerin nicht abwechselnd schlagen, sondern teilen sich die Tischhälften auf. Und im Einzel muss der gegnerische Aufschlag über die Grundlinie gehen. Geschieht das nicht, wird er wiederholt.

„Manche Gegnerinnen in der Liga sagen, dass das unfair sei“, erzählt Mikolaschek. Sie sieht das anders, sagt aber auch, dass die zwei Regeln völlig ausreichend seien. Ihre Taktik in drei Wörtern: Aufschlag, Schupfball, Topspin. Und den Angriffsball möglichst weit nach außen platzieren. Funktioniert das, blickt der Zuschauer durchaus mal in gekränkte Gesichter von gastierenden Spielerinnen. Blockade im Kopf, weil die Gegnerin im Rollstuhl sitzt, heißt es dann. Mikolaschek hält diese Ausrede für ein wenig scheinheilig. Wenn sie merkt, dass jemand nur halbe Kraft spielt, nimmt sie das Geschenk an: „Es ist mir egal. Ich will immer gewinnen und nehme jeden Sieg für mein Team mit.“ Ihr Trainer sagt, die meisten Gegner scheiterten eher daran, dass Mikolaschek eine so „gute, clevere Spielerin ist“.

Hannes Doesseler ist am Olympiastützpunkt Rheinland für die paralympischen Kadersportler zuständig und zudem Co-Trainer des deutschen Para-Nationalteams. „Die Betreuung ist unspektakulär. Die Sportler sind organisatorisch fit. Wichtig ist nur die Barrierefreiheit der Hallen“, sagt Doesseler.

Der Trainer erklärt, dass auch das Duell Rollstuhlfahrer gegen Fußgänger letztlich „normal“ sei: „Tischtennis bleibt Tischtennis. Wenn ich Sandra betreue, suchen wir Lösungen, damit sie gewinnt.“ Jeder Tischtennisspieler habe eine Einschränkung – das kann mentale Schwäche sein oder gar eine schlechte Beinarbeit. „Wir analysieren das Handicap des Gegners und versuchen es auszunutzen. Behinderung ist beim Tischtennis relativ.“

(ball)
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