Wulff hadert mit seinem Amt

Die mit Spannung erwartete Rede zum Jahrestag der Deutschen Einheit hat Bundespräsident Christian Wulff (CDU) solide, aber wenig überraschend absolviert. Begeisterung löst der neue Präsident nicht aus. Wulff ist im Amt noch nicht angekommen. Und sucht jetzt Rat von Externen.

Nicht einmal 100 Tage im Amt ist die Zwischenbilanz für Bundespräsident Christian Wulff dürftig: "Fehlstart", "Der Farblose", "Zuckerwatte-Präsident" sind nur einige der Kommentare, die über den Nachfolger von Horst Köhler zu lesen waren. Nach der braven, wenig überraschenden Rede gestern zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit dürfte sich das nicht wesentlich geändert haben.

Christian Wulff ist im Amt des Bundespräsidenten noch nicht angekommen. Dieses Erhabene, der durch überzeugende Reden erwachsene Respekt vor dem Staatsoberhaupt, wie es etwa die Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog erlebten, fehlt Wulff. Kritik kommt intern auch aus der eigenen Koalition.

Der schwierigen Kür – Niedersachsens CDU-Regierungschef konnte sich erst im dritten Wahlgang gegen den von Rot-Grün überraschend nominierten Ex-Bürgerrechtler Joachim Gauck durchsetzen – folgten Pleiten und Pannen.

Ungeschickt mischte sich Wulff mit einer Rücktritts-Forderung in die Aufarbeitung der Loveparade-Tragödie ein, deutete als unabhängiges Staatsoberhaupt sein Missfallen gegenüber Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin an und war sonst kaum zu hören. Schlagzeilen machte Wulff im Sommer, als er mit seiner Frau Bettina in das Privatanwesen des Unternehmers Carsten Maschmeyer nach Mallorca flog oder sich in die Pressekonferenz der Nationalmannschaft nach der Fußball-WM drängte.

Eine wegweisende Rede, etwa in der aufgeheizten Integrationsdebatte, waren vom Präsidenten, dessen einzige Waffe das Wort ist, nicht zu hören. Sein Umfeld verwies stets auf die Rede zum Einheitsjubiläum.

Doch Wulff blieb gestern überwiegend bieder, hielt sich penibel an seine Textvorlage und wirkte weder leidenschaftlich ermunternd noch kritisch mahnend. Mit Allgemeinplätzen belegte er das Mega-Thema Integration. Dass er Präsident aller Bürger sein will, das steht in seinem Arbeitsvertrag. Dass ein Land von der Vielfalt lebt, und Zuwanderer Deutsch reden sollen, hat sich auch schon herumgesprochen. Ein mahnendes Wort an die Zaghaftigkeit und Verlogenheit der Politik, die das Thema ignoriert hat und keine Antworten auf die Härten existierender Parallelgesellschaften gefunden hat, fand sich in der Rede, an der eine Handvoll Berater bis Samstag feilten, nicht. Der geistige Grundgedanke – wofür braucht dieses Land Zuwanderung und was, wenn die Integration scheitert? – war nicht zu sehen.

Wie es auch gehen könnte, zeigte Wulffs einstiger Konkurrent um das höchste Staatsamt, Joachim Gauck, einen Tag vorher. In einer kritischen, fast skeptischen Rede skizzierte der 70-Jährige ein Bild des gesamtdeutschen Bürgers, der sein Schicksal erkennt, die "Verantwortung der Freiheit" annimmt und einer "selbstgewählten Ohnmacht" entflieht. Die Politik würde ihre Entscheidungen "aus Angst vor den Wählern aufhübschen und verschleiern", rüffelte Gauck. Auch die Bürger nahm er in die Pflicht, weil diese "nicht bereit sind, sich zu informieren". Dass der Freiheits-Rhetoriker Gauck nicht nur in großen Teilen der Gesellschaft, sondern auch in der Politik als besserer Präsident gilt, bekommt auch Wulff mit. Gegenüber Medien beklagte sich das Staatsoberhaupt neulich, dass er falsch interpretiert werde. Dass man ihn immer noch als Politiker und nicht als Staatsmann bewerte. Wulff fühlt sich missverstanden. So ging es Horst Köhler auch.

In Wulffs Umfeld gibt man sich angesichts der kurzen Amtszeit gelassen. Der Mann, der zwei Mal eine Landtagswahl verloren hat, sei zäher als es die Überschriften erahnen lassen.

Seine Erfahrung als Politiker hilft Wulff. Auf internationalen Reisen agiere er professionell und geübt, sagt ein Mitarbeiter. "Dem muss man nichts erklären." Der Austausch mit der Bundesregierung sei reibungslos, die Kanzlerin hat ihren Präsidenten mehrfach im Schloss Bellevue aufgesucht. Und Wulff will künftig wahrnehmbarer sein.

Ein Expertenrat mit externen Wissenschaftlern, Ökonomen und Intellektuellen baue er gerade auf, heißt es im Bundespräsidialamt. Wulff will neue Ideen. Und das letzte Wort zum Thema Integration habe Wulff auch nicht gesprochen.

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