US-Menschenversuche in Guatemala

Die USA haben sich für Hunderte medizinische Experimente an Menschen in Guatemala entschuldigt. Sie waren vor mehr als 60 Jahren zu Forschungszwecken mit Geschlechtskrankheiten infiziert worden. Ein US-Arzt wollte das Antibiotikum Penicillin testen.

Der Skandal wurde erst durch einen Zufall bekannt: Amerikanische Ärzte haben nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderte von Menschen in Guatemala zu Forschungszwecken mit Geschlechtskrankheiten infiziert. Die Regierung in Washington entschuldigte sich dafür am Wochenende offiziell bei dem zentralamerikanischen Staat.

In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten US-Außenministerin Hillary Clinton und US-Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius die damalige Studie als "unethisch". Die amerikanische Außenministerin drückte in einem Telefonat mit dem guatemaltekischen Präsidenten Alvaro Colom ihr "persönliches Entsetzen und tiefes Bedauern" darüber aus, "dass so eine verwerfliche Forschung geschehen konnte". Clinton und Sebelius entschuldigten sich in ihrer gemeinsamen Erklärung bei den Opfern und kündigten eine umfassende Untersuchung der Geschehnisse an.

Auch Präsident Barack Obama sprach mit Guatemalas Präsidenten. Obama äußerte nach Angaben des Weißen Hauses in dem Telefonat mit Colom sein "tiefstes Bedauern" und entschuldigte sich bei den Opfern, wie der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, mitteilte. Der guatemaltekische Präsident sprach von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Colom war bereits am Donnerstag von Clinton über die Geschehnisse informiert worden: Der Arzt John Cutler hatte in den 40er Jahren in Guatemala an 1500 Menschen untersucht, ob mit dem damals noch neuen Wirkstoff Penicillin Geschlechtskrankheiten erfolgreich behandelt werden konnten, und welchen Nebenwirkungen auftreten. Für die Studie wählten Cutler und sein Mediziner-Team besonders gesundheitlich gefährdete Menschen in Guatemala aus, darunter psychisch Kranke. Sie klärten die am Experiment Beteiligten aber nicht über ihr Vorgehen und die möglichen Folgen auf.

Zunächst infizierten die US-Ärzte Prostituierte mit den Geschlechtskrankheiten Tripper oder Syphillis, dann ermunterten sie die Frauen zu ungeschütztem Sex mit Soldaten oder Gefängnisinsassen. Weil sich nur wenige Männer ansteckten, infizierten die Ärzte Soldaten, Gefängnisinsassen sowie psychisch Kranke schließlich direkt mit den Krankheiten. Mindestens einer der Patienten starb während der Studie; unklar ist jedoch, ob der Tod durch das Experiment ausgelöst wurde.

Die Studie wurde vom Panamerikanischen Gesundheitsbüro vorgenommen, das später in Panamerikanische Gesundheitsorganisation umbenannt wurde. Finanziert wurde die Untersuchung von den Nationalen Gesundheitsinstituten. Deren heutiger Leiter Francis Collins nannte das Geschehene "zutiefst verstörend" und "ein entsetzliches Beispiel für das dunkle Kapitel in der Geschichte der Medizin". Der Senator Robert Menendez vom hispanischen Ausschuss des US-Kongresses sprach von einem der "dunkelsten Momente" in der Geschichte der USA. "Kein unschuldiger Mitmensch, egal welcher Herkunft, sollte wie eine Laborratte behandelt werden."

Die Menschenversuche waren erst in diesem Jahr bekanntgeworden, als die College-Professorin Susan Reverby durch Zufall in einem Archiv Dokumente darüber entdeckte. Die Studie war nie veröffentlicht worden. Der verantwortliche Arzt Cutler war auch an der umstrittenen Tuskegee-Syphillis-Studie an Hunderten Afroamerikanern beteiligt. Für sie wurden zwischen 1932 und 1972 an Syphillis erkrankte schwarze US-Bürger bewusst nicht medizinisch behandelt.

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