Ostafrika: Der Tod ist allgegenwärtig

In den äthiopischen Flüchtlingslagern an der Grenze zu Somalia kämpfen die Menschen ums Überleben. Zwar strömen die Hungernden nicht mehr zu Tausenden in die provisorischen Zeltstädte, die Lage bleibt jedoch angespannt. Unser Reporter Helmut Michelis berichtet aus dem Krisengebiet.

Dolo Ado Staubige rotbraune Erde, spitze Steine, vertrocknete Dornensträucher, darüber heißer Wind und ein bedrohlich wirkender dunkelgrauer Himmel – das Paradies stellt man sich anders vor. Doch für mehr als 120 000 hungernde Menschen aus Somalia sind die vier Flüchtlingslager in der trostlosen Einöde rund um die äthiopische Grenzstadt Dolo Ado zur letzten Hoffnung geworden. Deutsche Helfer kümmern sich besonders um das neue Lager Melkadida – allein 40 000 Menschen sind dort aufgenommen worden.

Der Strom der Hungernden scheint inzwischen versiegt, nur noch Hunderte statt täglich Tausende kommen über die somalische Grenze. Und niemand liegt mehr sterbend am Straßenrand. Doch der Tod bleibt allgegenwärtig in Dolo Ado. Zwar schaut die Welt nicht mehr weg, und eine Welle der Hilfsbereitschaft hat auch diesen entlegenen Ort, mehr als 1000 Kilometer von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba entfernt, erreicht. Aber die Probleme der Helfer unter Führung von UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, erscheinen kurzfristig unlösbar.

Die registrierten Flüchtlinge in den Lagern können jetzt ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden, und in Melkadida hat die deutsche Organisation Humedica unter Führung der äthiopischen Flüchtlingsorganisation Arra die medizinische Betreuung übernommen. Doch je erschöpfter die Flüchtlinge sind, desto anfälliger sind sie für Haut-, Augen- und Darmerkrankungen. Die angelieferten Lebensmittel wie eine vitaminreiche Erdnusspaste, Bohnen oder Getreideprodukte vertragen die somalischen Viehzüchter nicht, die vom Fleisch ihrer inzwischen verdursteten Tiere gelebt haben.

Eine Masern-Epidemie konnte durch eine beispiellose Schnell-Impfaktion von 50 000 Kindern unter fünf Jahren vermutlich gestoppt werden. Trotzdem ist die Kindersterblichkeit in den vier Lagern im täglichen Durchschnitt von 156 auf 183 gestiegen, die meisten Todesfälle sind immer noch Masern-Opfer. Und jetzt ist in Somalia die Cholera ausgebrochen, in Dolo Ado ist soeben der erste Fall gemeldet worden – eine neue Herausforderung für die Ärzte. Seit zwei Jahren hat es in der Region nicht mehr geregnet, das Vieh ist längst verhungert, die Brunnen sind versiegt. Merkwürdig wirken die schweren grauen Wolken, die seit Wochen über Dolo hinwegziehen, aber niemals abregnen. Meteorologen erwarten, dass möglicherweise im Oktober endlich wieder Regen fallen könnte. Doch das brächte neue Probleme, warnt der Internist Heiner Laube vom Humedica-Team. "Die Lastwagen mit den Hilfsgütern kommen aus dem Hunderte Kilometer entfernten Dschibuti. Bei Regen werden die Pisten aus Steinen und gewalzter Erde gänzlich unpassierbar. Das könnte zu einer neuen Hungerkatastrophe führen."

Melkadida ist ein Lager der Frauen und Kinder, Männer gibt es nur wenige. Die Flüchtlinge berichten, dass die islamistische Al-Schabaab-Miliz die männlichen Somalier zurückhält. Die Frauen und Kinder würden getötet, wenn sie zurückkämen – sie seien Verräter. Dass die äthiopische Armee im Kampf mit der Terrorgruppe steht, spüren die Helfer in Dolo Ado unangenehm hautnah: Nachts knattern Maschinengewehre, auch Geschützfeuer ist zu hören. Heiner Laube ist aber mehr über die langfristigen Folgen der Massenflucht besorgt: "Aus den Kindern hier werden bald 80 000 junge Männer, ohne Ausbildung und ohne Perspektive. Das ist gewaltiger sozialer Sprengstoff. Jeder Rattenfänger kann sie aufhetzen." Damit eben das nicht passiert, hat das deutsche Hilfswerk World Vision die Aufgabe übernommen, eine Schulausbildung für die Kinder in den Lagern zu organisieren – ebenfalls eine riesige Herausforderung.

Die deutschen Helfer haben unter ihren internationalen Kollegen ein sehr hohes Ansehen. Das gilt auch für das elfköpfige Team des Technischen Hilfswerks, das von Unicef gar als "Weltspitze in diesem Bereich" gelobt wird. Die ehrenamtlichen Helfer, die sich ebenfalls allesamt freiwillig gemeldet haben, seien "Mädchen für alles", sagt ihr technischer Leiter Andreas Balke. "Wir setzen die arg strapazierten Fahrzeuge der Hilfsorganisationen instand, reparieren die Generatoren und Pumpen, bauen Latrinen und modernisieren das Wasserleitungsnetz von Dolo Ado." Letzteres ist besonders wichtig, reagieren doch die Einheimischen, denen es selbst kaum besser geht, immer aggressiver auf die angeblich bevorzugten Flüchtlinge. Sogar eine Protestdemonstration hat es schon gegeben.

SPENDEN Wer helfen will: Humedica e.V., Stichwort "Hungerhilfe Afrika", Konto 4747, BLZ 734 500 00, Sparkasse Kaufbeuren. Internet Helmut Michelis im Hungergebiet in Dolo Ado: Alle Reportagen unter www.rp-online.de/panorama

(RP)
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