Berlin Piraten vor Durchbruch in Berlin

Berlin · Die Piratenpartei kann laut Umfragen in Berlin mit bis zu 6,5 Prozent rechnen und erstmals in ein Landesparlament einziehen. Sie fordert kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Rauschkunde-Unterricht an Schulen und ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Grünen zu wählen, gilt in Berlin mittlerweile als ein wenig konservativ. Wer dem Establishment in der Hauptstadt eins auswischen will, macht sein Kreuz bei der Piratenpartei. Die politischen Freibeuter liegen den Umfragen zufolge mittlerweile bei 6,5 Prozent Zustimmung. Damit dürften sie den Sprung in das Abgeordnetenhaus am 18. September schaffen. "Die Piraten sind in Berlin gut organisiert. Sie haben über 1000 Mitglieder. Das ist extrem viel für eine kleine Partei", sagt der Berliner Politologe Oskar Niedermayer.

In vielem erinnern die Piraten an die Grünen vor 30 Jahren. Sie sind jung, originell und unprofessionell. Den langweiligen Berliner Plakatwahlkampf mischen die Piraten mit Selbstironie auf. Aus einem Plakat blickt ein Kandidat schräg heraus und fragt: "Warum häng ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen." Ansonsten machen die Piraten ihrem Namen Ehre und klauen unbekümmert aus lang vergangenen Wahlkämpfen und Regierungserklärungen. So plakatieren sie "Keine Experimente" (Konrad Adenauer 1957 – brachte der CDU absolute Mehrheit) und "Mehr Demokratie wagen" (Willy Brandt 1969).

Im Realitätscheck hapert es allerdings erheblich. Bei einer Talkshow der kleinen Parteien wurde Spitzenkandidat Andreas Baum angesichts der vielen teuren Forderungen der Piraten gefragt, ob er denn den Schuldenstand der Hauptstadt kenne. Er schätzte "viele, viele Millionen". In Wahrheit sind es gut 63 Milliarden Euro. Das Wahlprogramm der Piratenpartei ist ein kurioses und teures Sammelsurium, womit man sie politisch zwischen Spaßpartei und Robin Hood verorten kann. Sie fordern, dass Schwarzfahrer nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden und wollen gleich den ganzen öffentlichen Nahverkehr zur Nutzung kostenfrei stellen.

Kostenfreier Zugang zu drahtlosen Netzwerken (WLAN) soll in Berlin ebenfalls gewährt werden. In der Bildungspolitik fordern die Piraten "Rauschkunde-Unterricht" an den Schulen und nur noch 15 Schüler pro Lehrer. Wie die Piraten ihre Forderungen finanzieren wollen, erklären sie nicht.

Ursprünglich haben sich die Piraten als Netzpartei gegründet. Ihre Parteibeschlüsse fassen sie nach wie vor ausschließlich online. Ihr Hauptthema ist die Freiheit im und für das Internet. Sie sind gegen das Sperren kinderpornografischer Seiten im Internet zu Felde gezogen, das Ursula von der Leyen (CDU) in der großen Koalition als Familienministerin auf den Weg gebracht hatte. Ebenso groß war die Empörung der Netzgemeinde, als Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte, die Anonymität im Netz durch Spitznamen aufzuheben. Diese Forderung hat nach Ansicht von Niedermayer den Piraten in Berlin weiteren Zulauf beschert.

Das Kernklientel der Piraten besteht nach Ansicht von Niedermayer aus "Digital Natives", jungen Menschen, die mit dem Internet groß geworden sind und bei denen sich weite Teile des Lebens im Netz abspielen. Der typische Politik-Pirat ist jung, männlich, internetaffin. "Ich gehe davon aus, dass ein Teil der Klientel, die vorher Grüne oder Linke gewählt haben, nun für die Piraten stimmen", sagt Niedermayer. Einen Durchmarsch durch Länderparlamente und Bundestag bis in höchste Ämter sagt der Politologe den Piraten allerdings nicht voraus. "Die Grünen sind in ganz Europa wegen einer neuen Konfliktlinie in der Gesellschaft entstanden", betont Niedermayer. "Die Piraten behaupten, dass die Netzpolitik und die Frage staatlicher Eingriffe ins Netz eine der großen gesellschaftlichen Fragen der Zukunft wären. Das ist aber nicht der Fall." Den Normalbürger interessiere Netzpolitik nur am Rande. "Ich schätze das Entwicklungspotenzial der Piraten weniger hoch ein als das der Grünen vor 30 Jahren", sagt Niedermayer.

Die Grünen, die von den Piraten als Alt-Partei verspottet werden, bleiben derweil im Berliner Wahlkampf weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Nachdem sie in Umfragen nur noch auf dem dritten Platz liegen, hat Spitzenkandidatin Renate Künast ihren Anspruch, selbst Regierende Bürgermeisterin zu werden, quasi aufgegeben. Im TV-Duell diente sie dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit eine rot-grüne Koalition für Berlin an. Der wird voraussichtlich aber in der komfortablen Lage sein, dass er es sich aussuchen kann, ob er mit den Grünen oder der CDU eine Koalition bildet. Auch für Rot-Rot könnte es noch einmal reichen.

(RP)
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