Irritation über niedrige Stimmenzahl Merkel-Wahl: Waren einige nur Kaffeetrinken?

Hannover (rpo). Das Ergebnis, mit dem Angela Merkel in Ihrer Position als Unions-Chefin bestätigt wurde, ist mit über 93 Prozent eigentlich ganz beachtlich. Irritationen löste jedoch die Tasache aus, dass von 978 anwesenden Delegierten nur 818 mit abstimmten. Stiller Protest oder waren die alle nur Kaffeetrinken?

Als das Wahlergebnis verkündet war, nickte Angela Merkel nur kurz. Der Parteitag in Hannover hatte sie mit über 93 Prozent der gültigen Stimmen gerade als CDU-Chefin bestätigt. Auf den ersten Blick ein glänzendes Ergebnis. Noch mit den Folgen einer Erkältung kämpfend, schien Merkel zunächst eher die 50 Nein-Stimmen zu registrieren als die 746 Ja-Stimmen - und vielleicht auch die niedrige Zahl der abgegebenen Voten.

Augenscheinlich fühlte sich Merkel bestätigt in ihren Erwartungen. Sie hatte selbst eher mit einem "normalen Ergebnis" gerechnet - nach den 96 Prozent vor zweieinhalb Jahren in Essen, wo sie noch als Hoffnungsträgerin nach der Spendenkrise einen Vertrauensvorschuss erhalten hatte. "Nach zwei Jahren im Amt hat die Wahl jetzt ein anderes Fundament", meinte sie vor Hannover. Die verkündeten 93 Prozent waren nach Ansicht einiger ihrer Anhänger sogar "besser als erwartet". Gemessen daran hat sie nun als Oppositionsführerin erst einmal freie Hand bekommen.

Alles andere als glänzende Ergebnisse

Doch merkwürdig blieb, dass sich 978 Delegierte in die Anwesenheitslisten eingetragen hatten, aber nur 818 beim wichtigsten Punkt des Treffens, der Wahl des Vorsitzenden, ihre Stimmen abgegeben hatten. In den zahlreichen Grüppchen vor dem Saal wurde jedenfalls am Nachmittag heftig die Frage diskutiert, ob nicht auch ein stummer Protest gegen Merkel geäußert wurde - zumal bei den Stellvertreter- Wahlen rund eine Stunde später wieder 955 Delegierte abstimmten. Einige meinten, dass gar nichts dahinter stecke, die Delegierten "schlicht undiszipliniert" waren. Die Wahl habe auch zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden als annonciert. Doch einige aus der Parteispitze hoben schon bedeutungsvoll die Augenbrauen und deuteten an, dass sich manche wohl nicht nur beim Kaffeetrinken verplaudert haben könnten.

Als Indiz, dass zumindest einige der 160 "Nichtwähler" Merkel einen kleinen Seitenhieb mitgeben wollten, wurde auch gewertet, dass ihre engsten Verbündeten im Präsidium und im Vorstand alles andere als glänzende Ergebnisse erhielten. So kamen die Parteivize Jürgen Rüttgers und Christoph Böhr nur auf Zustimmungen von jeweils 63 Prozent. Die Konservativeren schnitten dagegen zum Teil blendend ab. So erhielt Hessen Ministerpräsident Roland Koch, der als möglicher Konkurrent Merkels um die Kanzlerkandidatur 2006 gilt, 86 Prozent Zustimmung und der von Merkel entmachtete Fraktionschef Friedrich Merz rund 94 Prozent - bei einer hohen Zahl von abgegebenen Stimmen.

Strategiedebatte spielte untergeordnete Rolle

Ein wenig wirkte die Partei angesichts des knappen Wahlausgangs vom 22. September verkatert. Dabei hatte sich die Vorsitzende alle Mühe gegeben, die Basis neu zu motivieren. Erwartungsgemäß attackierte sie die rot-grüne Bundesregierung aus allen Rohren. "Seit sechs Wochen bereut Deutschland die Wahl", rief sie mit verschnupfter Stimme. SPD-Kanzler Gerhard Schröder hielt sie "eine Politik des Augenblicks" vor. "Deutschland braucht die Rückkehr des Politischen."

Merkel hatte in ihrer Rede die Delegierten darin zu überzeugen versucht, dass die Christdemokraten von ihrem Wertegerüst her die bessere Basis hätten, die Probleme des Landes zu lösen. Erneut beschwor sie ein bevorstehendes christdemokratisches Zeitalter herauf. Der Beifall nach der Rede war ungeteilt und deutlich. Umso verwirrender war, was dann bei der Wahl geschah. In jedem Fall wird die Organisation beim Mal eine andere werden, hieß es.

Das große Thema vor dem Parteitag - die Debatte um die künftige Strategie der Union - spielte letztlich eine untergeordnete Rolle. Merkel sagte, man müsse zwar das Wahlergebnis analysieren. Die Unions-Wähler dürften aber nicht enttäuscht werden. Das bedeute: "Wir werden ihrem Vertrauen gerecht, wenn wir Rot-Grün vor uns her treiben." Das war ein Zugeständnis an die Konservativen, die eine eingehende Debatte um die Folgerungen aus dem Wahlergebnis scheuen. Andererseits stellte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer klar, dass es im nächsten Jahr einen Reformparteitag geben wird - zu dem dann die Delegierten im Sinne Merkels mehr Sitzfleisch zeigen sollten.

(RPO Archiv)
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