Berlin Koalition des Misstrauens

Berlin · Von der Wunschkoalition ist fast zwei Jahre nach der Bundestagswahl wenig übriggeblieben. Union und FDP beharken sich in einem täglichen Kleinkrieg. Das Verhältnis zwischen Finanz- und Wirtschaftsminister ist zerrüttet. Nun beschwört Kanzlerin Merkel den Neuanfang. Wieder einmal.

Der Finanz- und der Wirtschaftsminister einer Bundesregierung sind so etwas wie politische Zwillinge. Sie vertreten sich laut Satzung der Regierung, wenn der jeweils andere erkrankt ist. Berichte, Gesetze und Initiativen werden oft von einem Haus federführend bearbeitet, vom anderen aber gegengezeichnet. Ungünstig also, wenn die beiden Ressortchefs sich gründlich verkracht haben.

Das ist aber derzeit der Fall. Nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor zwei Wochen in einer Sonntagszeitung Interna von einem Abendessen unter vier Augen mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ausplauderte, ist das Tischtuch zwischen den beiden zerschnitten. Ein solches Zweier-Treffen werde es vorerst nicht mehr geben, heißt es in der FDP-Führung. Philipp Rösler, der viel Wert auf Loyalität und Verlässlichkeit legt, sei nachhaltig verärgert.

Das Missverhältnis zwischen Finanz- und Wirtschaftsminister ist allerdings nur ein Beispiel für eine Koalition des Misstrauens, die in Berlin seit 2009 regiert. Im Parlamentsalltag von Union und FDP bestimmen Ränkespiele, Eifersüchteleien und Abstimmungspannen den täglichen Umgang. Fachsprecher beeilen sich, noch kurz vor dem Amtskollegen vom Koalitionspartner Pressekonferenzen zu organisieren, Vereinbarungen werden gebrochen. "Jeder kocht sein Süppchen, keiner gönnt dem anderen das Schwarze unter den Fingernägeln", beklagt ein führendes Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion.

Hinzu kommt, dass Kanzlerin Merkel im Zusammenspiel mit CSU-Chef Horst Seehofer so ziemlich alle Forderungen der FDP bei den Verhandlungen über die Energiewende kassierte und der in den Umfragen bei unter fünf Prozent liegenden FDP keine Luft zum Atmen lässt. Lieber ließ Merkel in den vergangenen Tagen treue Untertanen mit SPD- und Grünen-Politikern telefonieren, um deren Zustimmung zum Atomausstieg zu bekommen.

Der Wutausbruch des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner ("der Atomausstieg ist keinesfalls FDP pur") zeigt, wie dünn das Nervenkostüm ist. Der Querschuss des 32-Jährigen, der unmittelbar nach dem Koalitionsentscheid die Realisierung des Atomausstiegs bezweifelte, löste indes auch in den eigenen Reihen Irritationen aus.

Nun haben sich Kanzlerin Merkel und ihr Stellvertreter Rösler auf dem gemeinsamen Rückflug aus den USA am Mittwoch auf eine koalitionäre Paartherapie verständigt. Wieder einmal, muss man sagen. Schon vor einem Jahr hatten sich Merkel und der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle zu einem Friedensgipfel getroffen, um das wochenlange Hickhack über die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, Steuersenkungen und die Reform der Mehrwertsteuer zu beenden.

Anfang Juli dieses Jahres soll es erneut ein Spitzentreffen geben, mit den Partei- und Fraktionschefs. Ein "Raster" über alle anstehenden Entscheidungen wolle man vereinbaren, in dem jeder Partner "auf seine Kosten" komme, versprach die Kanzlerin bei einem Besuch der FDP-Bundestagsfraktion. Auch das Thema Steuersenkungen soll in einen konkreten Zeitplan überführt werden. Man habe lange genug auf diese Koalition hingearbeitet, nun dürfe man sich das "nicht kaputtmachen lassen", warb Merkel für das einst als "Wunschkoalition" beschriebene Bündnis. Die Kanzlerin kritisierte indirekt auch die Indiskretionen ihres Finanzministers. Als sie die Wochenzeitung mit den Interview-Äußerungen Schäubles aufgeschlagen habe, habe sie geflucht, heißt es.

Die Kanzlerin weiß, dass sie bis 2013 mit der FDP regieren muss. Angesichts miserabler Umfragewerte haben die 93 FDP-Abgeordneten kein Interesse an Neuwahlen. Die SPD steht als Ersatzpartner nicht zur Verfügung. Merkel muss also durchhalten. Bis 2013. Dann, so ist sich ein CDU-Mann sicher, "müssen wir uns wohl einen neuen Koalitionspartner suchen".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort