Tokio Japan will nach IS-Geiselmord Militär stärken

Tokio · Die Ermordung von Journalisten löst eine Diskussion über die Rolle der eigenen Streitkräfte aus.

"Ich verspüre herzzerreißenden Schmerz", verriet Shinzo Abe in untypisch emotionalen Worten. In traurigem Ton bedankte er sich bei den Regierungen anderer Länder, die mit ihm um die Freilassung der zwei japanischen Geiseln gekämpft hatten. Aber Stunden nach der Nachricht über die Tötung des zweiten Gefangenen fand Japans Premierminister auch harte Worte: Keinem terroristischen Akt werde er sich je beugen. "Wir müssen uns verstärkt um die Sicherheit japanischer Bürger bemühen, auch jener im Ausland." Es ist ein Satz, der in Japan eine schon lange schwelende verteidigungspolitische Debatte neu entfacht.

Am Sonntag hatte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ein Video veröffentlicht, das den vor rund einer Woche in Geiselhaft genommenen japanischen Kriegsreporter Kenji Goto zeigte, mit dem Messer eines vermummten Mannes nah an seinem Hals. Der Dschihadist richtete eine Botschaft an Abe: Die japanische Regierung habe umgerechnet 177 Millionen Euro humanitärer Hilfsleistungen für die unter dem Krieg im Mittleren Osten leidenden Menschen zugesagt. Damit sei Abe in einen Krieg gegen den IS eingetreten. Für die Freilassung Gotos hatte die Terrormiliz ebenfalls 177 Millionen Euro gefordert. Da Abe nicht zahlen wollte und andere Versuche scheiterten, ist im Video auch der tote Körper des Journalisten zu sehen. Japans Regierung hält die Aufnahme für echt.

Es ist eine Niederlage für Abe, die ihn auf anderer Ebene noch zum Gewinner machen könnte: Seit seinem Amtsantritt Ende 2012 macht sich der Premier dafür stark, die japanische Verfassung von einem pazifistischen Artikel zu befreien, auf dem die Siegermacht USA nach dem Zweiten Weltkrieg bestand. Darin erkennt der japanische Staat an, dass er unter keinen Umständen Krieg führen darf. In den Augen Konservativer wie Abe beschneidet der Artikel aber die japanische Souveränität. Als Abe von 2006 bis 2007 schon einmal als Premierminister regierte, leitete er einen ersten Schritt ein, um den Artikel zu schwächen. Das Verteidigungsressort baute er zu einem eigenständigen Ministerium aus. Seit 2012 steigen auch die Ausgaben für Militär wieder.

Abe will in diesem Jahr die Rechtsgrundlage schaffen, um Japan künftig eine "kollektive Selbstverteidigung" zu ermöglichen - also in Konflikten an der Seite der USA zu kämpfen, selbst wenn es nicht direkt angegriffen wird. Eine Beteiligung an den US-geführten Luftschlägen gegen den IS sei nicht geplant, sagte Abe. Kritiker werfen ihm vor, das Geiseldrama für seine Agenda zu nutzen.

(RP)
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