Analyse Die Ethik des Seitenwechsels

Berlin/Weeze · Der mögliche Einstieg von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla bei der Bahn wirft die Grundsatzfrage nach dem Amtsverständnis unserer Politiker auf. Die Erwartungen sind groß – zu Recht: Pofalla schuldet den Wählern eine Erklärung.

Aus der Zeit der unglücklichen und oft zu Unrecht verfemten Weimarer Republik wird ein Fall berichtet, in dem ein namhafter Reichspolitiker eisern aus einem vermeintlichen persönlichen Missgeschick die Konsequenzen zog. Seine Ehefrau hatte beim Erwerb eines Mantels in einem Berliner Kaufhaus einen Preisnachlass erhalten, und ein Reporter hatte das herausgefunden. Als der Mann davon erfuhr, trat er von seinem Amt zurück. So hoch waren die Standards in der ersten deutschen Republik. In der zweiten deutschen Republik mag man weniger streng mit dem politischen Personal umgehen. Doch auch in der Bundesrepublik lassen es weder Öffentlichkeit noch politische Klasse zu, dass einige Amtsträger allzu lasch mit der Verquickung von öffentlicher Aufgabe und privatem Vorteil umgehen.

Im Grunde sind die Standards gar nicht so verschieden, wie der aktuelle Fall des früheren Kanzleramtsministers Ronald Pofalla (CDU) zeigt. Menschlich ist die Sache klar: Der 54-jährige Politiker hat sich für die Karriere, aber auch für die Partei aufgeopfert. "24 Stunden, sieben Tage lang bin ich für die CDU unterwegs", sagte er einmal über seine Zeit als Generalsekretär der Christdemokraten. Er fraß förmlich die Akten im Konrad-Adenauer-Haus in sich hinein und lenkte die Pfeile, die eigentlich seiner Chefin, der Parteivorsitzenden Angela Merkel, galten, auf sich. Auch als ihr wichtigster Helfer im Bundeskanzleramt war sich Pofalla nicht zu schade, weite Wege zu gehen und Streit zwischen den Ministerien, so gut es ging, im Vorfeld zu entschärfen.

Es gilt wie immer im Leben: Wenn etwas klappt, fällt der Ruhm auf die Vorsitzende oder die Kanzlerin. Wenn etwas schiefgeht, ist der Schuldige schon gefunden: der übereifrige Helfer. Pofalla hielt den Druck aus, konnte zwar nicht immer vermitteln. Aber die bessere Koordination vor allem in der zweiten Hälfte der schwarz-gelben Koalition, ist nicht zuletzt Verdienst des Politikers vom Niederrhein. Warum diesem Mann nicht den Wechsel auf einen besser bezahlten, aber mit weniger Ärger und Stress verbundenen Posten gönnen? Hat er sich das, auch in Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes, nicht verdient? Die Frage berührt das Bild des Politikers als Sachwalter und Gestalter des öffentlichen Interesses. Wem die Wahlbürger ein Amt übertragen, von dem erwarten sie Kompetenz, Bescheidenheit, Initiative, größtmögliche Offenheit und den Verzicht, den Posten zum eigenen Vorteil zu nutzen – sei es auch erst hinterher. Dass solche Ämter nicht eben üppig bezahlt werden, kommt hinzu. Aber auch das macht den Reiz unserer Demokratie aus. Pflichterfüllung und Verantwortung stehen ganz oben an, in der Weimarer Republik wie in der Bundesrepublik. Daran muss sich Pofalla messen lassen.

Bislang ist bekannt, dass er offenbar zur Deutschen Bahn, einem Staatsunternehmen, wechseln will. Das ist heikel. Denn der Einfluss des Kanzleramts auf die Bahn ist immens. Es heißt, der Bahnchef sei der 16. Minister der Bundesregierung. Gewöhnlich einigen sich die Vorsitzenden der Koalitionsparteien auf diese Personalie. So war es bei Vorstandschef Rüdiger Grube und allen seinen Vorgängern bei der Deutschen Bahn. Damit bestimmen über den Wechsel die Spitzen der regierenden Koalition. Für einen Wechsel zu einem Staatsunternehmen muss es also für den ehemaligen Chef des Kanzleramts sehr gute Gründe geben. Einer der Gründe könnte Pofallas Vernetzung in der politischen Welt Berlins sein. Bahnchef Rüdiger Grube sucht dafür eine kompetente Kraft, weil er sich mehr ums operative Geschäft kümmern will. Die wichtigsten Regeln für solch heikle Wechsel sind Transparenz, der Nachweis, dass der Anwärter nicht schon vorher in eigener Sache aus dem Amt heraus aktiv geworden ist, und das Fehlen von Protektion.

Pofalla ist zweifellos für den neuen Posten geeignet, sogar als Personalvorstand dürfte er Manager-Qualitäten mitbringen. Ob er auf die Aufgabe gezielt hingearbeitet hat, ist weniger klar. Es gab immer wieder Gerüchte, dass der CDU-Politiker mit einem Posten bei der Bahn liebäugelt. Sein Verhältnis zu Bahnchef Grube ist geradezu freundschaftlich. Und spätestens im November, als es noch um Posten und Ministerämter ging, erfuhr die Kanzlerin von Wechselplänen ihres Hausmeiers. Das sind Indizien, die für eine lange Vorbereitung auf den neuen Posten sprechen. Will Pofalla also wechseln, muss er glaubhaft dartun, dass er sein Amt nicht für seine wirtschaftliche Karriere eingesetzt hat.

Noch bedeutsamer ist aber, dass bei so heiklen Posten eine Vermengung von öffentlichen Ämtern und unternehmerischen Aufgaben ausgeschlossen ist. Wer für einen Staatskonzern arbeitet, darf nicht auch noch als Parlamentarier diesen kontrollieren. Pofalla muss also sein Amt als Bundestagsabgeordneter vor einem Wechsel aufgeben. Der dritte Punkt betrifft die Wartezeit. Es wäre nichts zu beanstanden, wenn ein Politiker zuerst seine Ämter aufgibt und sich erst dann nach einer neuen Tätigkeit umsieht. Handelt es sich um einen Arbeitgeber mit Gremien und längeren Entscheidungsprozeduren, sollte dieser Prozess erst nach dem Amtsverzicht beginnen. Im Fall der Bahn wäre es der Aufsichtsrat, der über ein Angebot an Pofalla beschließt. Das wäre die ethisch einwandfreie Lösung.

Möglich wäre auch, dass der CDU-Politiker sein Mandat zunächst behält und sich bei einem Angebot Bedenkzeit erbittet. Bei einer Annahme würde er vorher auf seinen Sitz im Bundestag verzichten. Schließlich muss ein aktiver Politiker seinen Wählern den Seitenwechsel erläutern. Denn es gibt im Wahlrecht der Bundesrepublik einen starken Persönlichkeitsbezug durch die direkte Wahl in den einzelnen Kreisen. Im Wahlkreis Kleve ist Pofalla der Direktkandidat gewesen. Seine CDU-Kollegen haben für ihn Wahlkampf gemacht, die Wähler ihn in den Bundestag entsandt. Das dürfte allerdings die am wenigsten schwierige Aufgabe sein. Denn Lebenswege verändern sich bisweilen. Pofalla hatte ein wichtiges Amt inne. Er war für andere Posten vorgesehen, und das wussten die Wähler. Wenn er diese Ziele nun nicht erreichen kann, ist es sein gutes Recht, die Karrierepläne zu ändern. Gleichwohl muss er es seinen Wählern erklären. Das steht nach dem Verzicht, den Kreisverband Kleve zu besuchen, noch aus.

(RP)
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