Kolumne: Gesellschaftskunde Sicherheit ist der neue Leistungsanreiz

Düsseldorf · Arbeitnehmer müssen flexibel sein: Anforderungen ändern sich schnell, Stellen sind nur noch kurzfristig sicher. Das sorgt für neue Formen von Stress - verursacht durch Ungewissheit.

 Dorothee Krings.

Dorothee Krings.

Foto: Phil Ninh

Jahrzehnte haben die Menschen an die Leistungsgesellschaft geglaubt. Daran, dass sich totaler Einsatz für Ausbildung und Karriere schon lohnen werde, dass er sich auszahle in Geld und Erfüllung.

Doch dann bekamen die Kinder der Leistungsvertreter trotz ordentlicher Schulnoten keinen Wunschstudienplatz mehr und formierten sich schon bald zur Generation Praktikum. Auf einmal mussten sie Jahre des Übergangs bis zur ersten festen Stelle einplanen und dann mit flexiblen Lohnmodellen einverstanden sein, bei denen sie das Risiko der Branche mittragen. Prompt geben junge Leute in Befragungen heute an, dass nicht mehr der kurzfristige Ausblick auf ein fettes Gehalt für sie ein Leistungsanreiz ist, sondern Sicherheit. Die Aussicht auf einen festen Job, auf eine Arbeit, die langfristig das Überleben garantiert - und Spielraum lässt, das Ich jenseits der Arbeit zu entfalten.

Das ist nur vermeintlich ein Zeichen der Rückbesinnung auf weiche Werte wie Partnerschaft, Familie, das kleine Lebensglück. In Wahrheit ist die Abkehr von den Zielen statusseligerer Zeiten ein Zeichen des Vertrauensverlustes. Die Nachkriegsgeneration hatte noch verinnerlicht, dass Bildung und Ausbildung Wohlstandsgaranten sind - hohe Güter, die einem niemand nehmen kann, selbst wenn alles in Trümmern liegt. Menschen, die ihren Berufsweg heute beginnen, halten dagegen nichts mehr für sicher. Das entspricht ihrer Erfahrungswelt.

Flexibilität wird von ihnen nicht nur räumlich erwartet, etwa bei der Jobsuche. Sie müssen sich auch darauf einstellen, dass sich Anforderungen ständig wandeln, dass das, was sie mal gelernt haben, nur noch die Methoden liefert, um andere Aufgaben zu lösen. Das stellt hohe Anforderungen. Und macht Verlässlichkeit zu einem neuen Wert.

Es bringt auch einen unverbindlicheren Typus des Angestellten hervor. Der identifiziert sich stark mit seiner Aufgabe, weniger mit dem Unternehmen, und heuert schneller woanders an, wenn es dort bessere Perspektiven gibt.

Die Kehrseite dieser Entwicklungen ist die Erschöpfung, mit der immer mehr Menschen zu kämpfen haben. Denn das Gefühl des Ausgelaugtseins ist ja keine Frage der Arbeitsbelastung. Geschuftet wurde auch früher. Es ist Resultat einer neuen Sorte von Stress, die aus Ungewissheit resultiert.

Die neue Flexibilität am Arbeitsmarkt mag es Unternehmen also leichter machen, auf wirtschaftliche Anforderungen zu reagieren. An anderer Stelle hat sie auch ihren Preis, den zahlt der Einzelne - und mit ihm die Gesellschaft.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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