Kolumne: Gesellschaftskunde Bekenntnisse reuiger Mütter sind heilsam

Kinder sind ein Segen. Darum provoziert es, wenn Frauen offen aussprechen, dass sie lieber nicht Mutter geworden wären. Allerdings ist das kein Beleg für den Egoismus moderner Frauen, sondern für den Einfluss rückständiger Rollenklischees.

Nun ist es raus. Es gibt Frauen, die bereuen, Mutter geworden zu sein. Eine Soziologin in Israel hat das erhoben. Sie hat Frauen die Frage gestellt, ob sie noch einmal Mutter werden würden, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnten. Manche Frauen haben das verneint. Manche haben auch drastische Formulierungen benutzt, etwa, die Entscheidung zur Mutterschaft sei "der Alptraum ihres Lebens". Nun ist die Aufregung groß, weil da scheinbar etwas angegriffen wird, das zu den letzten Gewissheiten unserer brüchigen Zeit gehört: die unaufkündbare Mutterliebe.

Das aber ist das Missverständnis in der Debatte über die Studie "Regretting Motherhood - Mutterschaft bereuen". Mütter, die zugeben, dass sie ihre Entscheidung bereuen, sagen ja keineswegs, dass sie ihre Kinder nicht lieben. Sie sagen nur, dass sie den Wechsel in eine neue soziale Rolle, die Mutterrolle, bereuen. Das allerdings muss einer Gesellschaft, die natürlich auf Nachwuchs angewiesen ist, zu denken geben. Denn anscheinend müssen Frauen noch immer zu viel aufgeben, um diesen Rollenwechsel vollziehen zu können. Sie müssen berufliche Nachteile hinnehmen, sich auf die Mehrfachbelastungen durch Job und Kind einstellen und werden mit enormen ideologischen Erwartungen konfrontiert: Mütter sollen ganz für ihre Kinder da sein, sich aber nicht aufgeben, sie dürfen nicht wie Helikopter über ihren Kleinen kreisen, sollen ihnen aber alle Chancen offen halten. Das überfordert. Und die große Zahl alleinerziehender Mütter beweist, dass es am Ende vor allem die Frauen sind, die nicht davonlaufen, wenn sich das Familienglück als trügerisch erweist.

Zugleich sind die Bekenntnisse allerdings auch ein Symptom für die Alles-zugleich-Mentalität unserer Zeit. Individualisten wollen Kinder bekommen, die Liebe und Wärme des Familienlebens genießen, aber möglichst ungebunden bleiben. Die Konsumentenhaltung in allen Lebensbereichen macht es Menschen schwer, Entscheidungen zu treffen, die auch Verzicht bedeuten. Und eine Familie zu gründen, bedeutet nun mal, Unabhängigkeit aufzugeben. Da hilft späte Reue nicht.

Gerade weil es ein großer Schritt ist, Ja zu einem Kind zu sagen, muss die Gesellschaft alles dafür tun, dass Mütter wie Väter ihre Rolle frei gestalten können, ohne sich dafür aufgeben zu müssen. Betreuungsangebote sind dafür notwendig - und eine viel konsequentere Aufteilung der Erziehungsarbeit zwischen Mann und Frau. Dann brauchen wir keine süßlichen Mutterklischees mehr. Dann kann das normale Chaos mit Kindern beginnen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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