Kolumne: Frauensache Die Mutter, unser Zauberwesen

Eine Frau, die mit 65 noch Kinder haben will; andererseits Mütter, die an ihrer Rolle verzweifeln: Beides verstört uns, weil wir Romantiker sind. Die Mutterrolle ist die letzte Fiktion unserer Gesellschaft.

Das Feuilleton, der Boulevard, der Stammtisch, sie alle haben in den vergangenen Tagen die Gretchenfrage der Weiblichkeit diskutiert - wie hältst du's mit der Mutterschaft? Anlass waren zwei Nachrichten, die in ihrer Gleichzeitigkeit ebenso faszinierend wie verstörend sind: Einerseits der Fall Annegret R., Mutter von 13 Kindern und nun, mit 65, schwanger mit Vierlingen, andererseits die Studie einer israelischen Wissenschaftlerin über Mütter, die es bereuen, Mutter geworden zu sein.

Zwei Extreme, die gerade in ihrer Gegensätzlichkeit an unserem Ideal der Mütterlichkeit zerren. Auf der einen Seite eine Frau, die sich ganz und gar über die Mutterrolle definiert, so dass sie sich über die Grenzen der Natur und die gesellschaftliche Norm hinwegsetzt. Auf der anderen Seite die Bekenntnisse von Frauen, die ihre Mutterrolle als Fehlbesetzung empfinden. "Es ist der Alptraum meines Lebens", sagt eine von ihnen.

Dieser Satz verstört uns ebenso wie die Schwangerschaft einer 65-Jährigen, weil wir unbeirrbare Romantiker sind, wenn es um das Muttersein geht. Eben war sie noch eine Frau mit Leidenschaften und Makeln, mit Wünschen und Ängsten; die Geburt macht aus ihr ein Zauberwesen, das die eigenen Bedürfnisse hintanstellt, sich aufopfert, bedingungslos gibt und liebt. Dieses Zauberwesen nennen wir Mutter. Das Wort "Mutter" ist ein Synonym für Tugendhaftigkeit. Wer es im Namen trägt, steht für das Gute, sei es nun die Muttergottes, Mutter Teresa oder die Mutti im Kanzleramt.

Tatsächlich ist unser Mutterbild die letzte Fiktion in einer aufgeklärten, digitalisierten und globalisierten Welt. Zwar sind Gleichberechtigung, Patchwork-Familie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf unsere gelebte Wirklichkeit, doch liegt über ihr immer noch der Schleier eines Ideals, das die Mutterschaft als höchste Erfüllung der Weiblichkeit sieht. Zwar streiten wir für mehr Kita-Plätze, Betriebskindergärten und Ganztagsbetreuung, meinen aber tief im Inneren, dass ein Kind nur in Anwesenheit der Mutter glücklich ist. Und natürlich gilt das Muttersein für jede Frau selbstverständlich als größtes Glück.

So glauben wir, dass kein anderes Erlebnis einen Menschen so prägt wie die Geburt eines Kindes. Sie macht aus Frauen Mütter und lässt sie alle ein wenig gleicher werden, weil sie als Mutter das Gleiche fühlen. Das aber tun sie offenbar nicht, wie die Studie aus Israel zeigt. Sie erzählt von Müttern, die ihre Kinder lieben, aber nicht das Muttersein.

Für Romantiker ist das schwer zu ertragen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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