Analyse zur Islamkonferenz Seehofer belebt Diskussion über den Islam in Deutschland

Berlin · Auf der vierten Deutschen Islamkonferenz wurde wieder gestritten – weil endlich die verschiedenen Strömungen vertreten waren. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat dem Format neues Leben eingehaucht.

 Eine Szene der Podiumsdiskussion der Auftaktveranstaltung zur 4. Deutschen Islam-Konferenz des Bundesinnenministeriums.

Eine Szene der Podiumsdiskussion der Auftaktveranstaltung zur 4. Deutschen Islam-Konferenz des Bundesinnenministeriums.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

März 2018: Der frisch vereidigte Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt in einem „Bild“-Interview den Satz: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ November 2018: Horst Seehofer eröffnet in Berlin die vierte Deutsche Islamkonferenz.

Es ist nicht leicht mit dem Islam in Deutschland. Gehört er nun dazu? Kann man so eine Frage überhaupt stellen? Für Horst Seehofer ist klar: Der Islam, der gehört nicht zu Deutschland. Aber die Muslime, die gehören sehr wohl zu Deutschland. Auf diesem feinen Detail bestand der Bundesinnenminister und CSU-Chef schon im März in der „Bild“-Zeitung (Bezahl-Link). Und auch zu Beginn der vierten Islamkonferenz stellt Seehofer in seiner Rede dies noch einmal klar. Muslime sind dazugehörig. Auf den Satz mit dem Islam verzichtete er aber sicherheitshalber.

Als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vergangenes Frühjahr mit seiner Kruzifix-Debatte Aufsehen erregte – Söder hatte erlassen, dass in allen Landesbehörden Kreuze aufgehängt werden sollen –, sprang Seehofer seinem Rivalen nach einigem Schweigen dennoch bei und verteidigte Söder gegenüber dem Münchner Kardinal Reinhard Marx, der den Erlass kritisiert hatte. Und nun sollte Seehofer dieses festgefahrene Kolloquium namens Islamkonferenz wiederbeleben? Nicht viele Experten dürften im Vorfeld optimistisch gewesen sein.

Es lief auch tatsächlich so manches schief. Da lagen dann zum Beispiel wieder einmal Blutwürste auf dem Konferenz-Buffett, wie später einige Teilnehmer berichteten. Die Speisevorschriften des Koran verbieten Muslimen allerdings, Schweinefleisch und dessen Nebenprodukte zu essen, die Blut enthalten. Eine Kleinigkeit? Das kommt darauf an, ob man es als Unachtsamkeit oder als Statement wertet.

Doch man glaubt es kaum: Obwohl Seehofer gerade in ressortfremden Bereichen wie diesen wie ein bayerisches Trampeltier daherkommt, ist es ihm gelungen, einen Dialog zu reanimieren, der nach mehrfachen Wiederbelebungsversuchen eigentlich schon darniederlag. Davon zeugt schon die Teilnehmerliste. In den bisherigen drei Phasen waren es die konservativen Islamverbände und 15 Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, die sich zu Gesprächen trafen. Seehofer hat damit gebrochen. Zwar sind auch weiterhin die traditionellen Verbände dabei, doch setzte Seehofer dieses Mal auch auf die Meinungen prominenter muslimischer Einzelpersonen, Wissenschaftler und Vertreter eines liberalen Islam. Wenn man wollte, könnte man Seehofers Ansichten in der Auswahl der Teilnehmer gespiegelt wiedererkennen: Die einzelnen Muslime gehören dazu, der Islam als Weltreligion hat hier dagegen nichts verloren.

Bei der vierten Islamkonferenz wurde wieder gestritten – weil es endlich diametrale Kraftfelder gab. Zum Streiten gehören immer zwei, schweigt einer, ist der Zank vorbei. Und damit auch die Diskussion. So unterstützte der Vorsitzendes des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, Seehofers Forderung nach einem Islam deutscher Prägung. Es sei aber nicht sinnvoll, die Religion zu „nationalisieren“. Die Mitbegründerin des Liberal-Islamischen Bundes, Lamya Kaddor, warf Mazyek dagegen vor, auf dem Podium die Toleranz und das Miteinander zu betonen, aber die Diffamierung liberaler Muslime durch Verbandsvertreter mitzutragen. Seyran Ates, Anwältin und Frauenrechtlerin, erklärte, konservative Muslime seien mitverantwortlich dafür, dass Islamkritiker wie sie oder Hamed Abdel-Samad nur mit Personenschützer der Polizei an der Konferenz teilnehmen könnten. Für das Innenministerium war es wichtig, all diese Menschen zusammenzuführen. Denn nur wer zuhört, versteht.

Seehofer und sein für diese Konferenz zuständiger Staatssekretär Markus Kerber müssen nun zeigen, was sie aufgenommen haben und wie sie die Probleme lösen wollen. Es gibt genug. Die Finanzierung einer deutschen Imam-Ausbildung zum Beispiel – als Gegenstück zu einer aus dem Ausland gelenkten, wie sie der türkisch geprägte Islamverband Ditib praktiziert. Derzeit gibt es in Deutschland fünf Zentren für islamische Theologie, an denen Lehrer für Schulen und Hochschulen ausgebildet werden. Die großen Islamverbände akzeptieren jene Lehrer jedoch nicht als Imame in ihren Moscheen. Das muss sich mittelfristig ändern.

Zudem muss sich die deutsche Politik ihre muslimischen Gesprächspartner weiser aussuchen. Das ist mühselig, aber notwendig. In seiner Eröffnungsrede hatte Seehofer die Muslime dazu aufgerufen, dem Staat einen festen Ansprechpartner für den künftigen Dialog zu nennen. Die Strukturen müssten klarer sein. Nun gibt es aber im Islam keinen Vatikan. Es gibt nicht den einen Vertreter Gottes auf Erden. Daher ist es nicht möglich, einen bestimmten Repräsentanten ins Zentrum zu rücken. Die Zusammenstellung der diesjährigen Konferenz war trotz Seehofers unüberlegten Aufrufs zum Zusammenschluss ein Schritt in die richtige Richtung. Wenngleich Experten auch Bedenken äußern.

„Ich stelle ein Übergewicht an den Rändern fest“, sagt etwa Mouhanad Khorchide. Der Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universität Münster nahm an der Konferenz teil und gilt als Verfechter eines liberalen Islam. „Einerseits gibt es eine starke Präsenz des konservativen Islam, vertreten durch die konservativen muslimischen Verbände. Andererseits eine starke Präsenz der Islamkritiker. Dabei ist  die absolute Mehrheit der Muslime in Deutschland dem gemäßigten und weltoffenen Islam zuzuordnen“, so Khorchide. Diesen zu stärken, ist nun Seehofers dringendste Aufgabe. Dabei darf er aber nicht den Kontakt zum Rest abbrechen. Der Islam ist plural, die Diskussion um ihn ebenfalls.

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