Großer Wahlkampfauftritt des Altkanzlers Helmut Schmidts Sorgen um Europa

Brandenburg · Der Wahlkampf der SPD ist voller Pannen gewesen. Nun hatte der Grand Signeur der Partei noch einmal eine großen Auftritt: Helmut Schmidt trat gemeinsam mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in Brandenburg auf die Bühne.

Helmut Schmidt – Raucher, SPD-Kanzler, Zeit-Herausgeber
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Helmut Schmidt - Rückblick auf ein Politikerleben

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Foto: dpa, rj_sv wst fdt

Helmut Schmidt raucht, natürlich auch im Theater. Er sinniert über die großen Probleme dieser Welt. Es ist still im Saal, als er sagt: Wenn Europa so weiterwurschtelt, dann werde es untergehen. Binnen eines Jahrhunderts habe sich die Weltbevölkerung von 1,6 auf 6 Milliarden vervierfacht. "Alle wachsen, wachsen und wachsen uns über den Kopf", betont der 94-Jährige. Wenn Europa in so einer Situation nicht mehr zusammenhalte, dann werde es chancenlos sein.

Er sitzt vorne auf der Bühne des Stadttheaters von Brandenburg an der Havel, rote und orangene Scheinwerfer beleuchten den schwarzen Vorhang im Hintergrund. Es ist Schmidts einziger großer Auftritt in diesem Bundestagswahlkampf, aber die Stimmung hier hat nichts mit lauten Bühnen oder stickigen Bierzelten zu tun. Zusammen mit SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der hier seinen Wahlkreis hat und ihn eingeladen hat, macht der frühere "Zeit"-Herausgeber eine Tour d'Horizon durch Geschichte und Gegenwart.

"Mehr Solidarität"

Der Hamburger mahnt zu mehr Solidarität mit Euro-Schuldenländern und wirft Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, genau den gegenteiligen Weg einer Desintegration einzuschlagen. "Frau Merkel appelliert an den Egoismus der Deutschen", kritisiert der 94-Jährige.

Auf der Hinfahrt mit der Eisenbahn habe er sich mit einem sehr guten Aufsatz des früheren Beraters von Kanzler Helmut Kohl, Horst Teltschik, zu Syrien auseinandergesetzt, berichtet Schmidt. "Ich bin weiß Gott kein Pazifist, ich bin ein alter Soldat", sagt der Mann, der von 1974 bis 1982 Deutschland regierte. Es sei aber überhaupt nicht klar, welche Kräfte miteinander in Opposition zu Machthaber Baschar al-Assad stünden. Er sei erschrocken, wie leichtfertig ein Militärschlag in Betracht gezogen werde. Steinmeier betont, zwei Tage Bombardierung seien für Assad weniger gefährlich, als wenn Russland und die USA zu einer gemeinsamen Position kämen.

Recht vernichtend ist Schmidts Urteil über seinen damaligen Gegenpart in der DDR, Erich Honecker. Der sei ein unsicherer Mensch gewesen. "Er hat mir leid getan. Er musste sich erst mal erkundigen, wohin läuft der Hase in Moskau." Als Mensch sei er wenig überzeugend gewesen. "Er glaubte an seinen Kommunismus und an seinen Marxismus." Schmidt sieht im "Plattmachen der DDR-Industrie" nach der Wende einen Hauptgrund, warum eine strukturelle Angleichung in den beiden Teilen Deutschlands bis heute so schwierig ist.

Um den aktuellen Wahlkampf geht es nur am Rande, Schmidt denkt lieber in den großen weltgeschichtlichen Linien. Er war es aber, der der SPD Peer Steinbrück frühzeitig mit dem Satz "Er kann es" als Kanzlerkandidat ans Herz legte, auch wenn er später Zweifel an den Wahlkampfqualitäten des Kandidaten äußerte. Am Ende hat er sieben seiner geschätzten Mentholzigaretten geraucht. Mit Blick auf seine pessimistischen Einschätzungen zu Syrien und Europa entschuldigt er sich bei den rund 500 Zuhörern im Theater. "Sie haben einem uralten Mann zugehört. Sie müssen ihn nicht unbedingt ernst nehmen."

(dpa)
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