Berlin Gezank vor dem Jawort

Berlin (rpo). Die zweite Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik ist perfekt. Am Freitag unterzeichneten Spitzenvertreter der Parteien das Vertragswerk im Paul-Löbe-Haus in Berlin. In kurzen Ansprachen bemühten sich Angela Merkel, Matthias Platzeck und Edmund Stoiber, Mut und Zuversicht zu signalisieren.

Reaktionen auf den Koalitionsvertrag
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Foto: ddp

Zuvor war das 190 Seiten starke Vertragswerk von den kleinen Parteitagen der CDU und der CSU sowie einem ordentlichen Parteitag der SPD mit jeweils großer Mehrheit gebilligt worden. Es ist die Arbeitsgrundlage für die Regierung einer auf vier Jahre angelegten schwarz-roten Koalition unter Führung der CDU-Chefin Merkel, die am Dienstag zur ersten Bundeskanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt werden soll.

Union und SPD hatten sich am Freitag vergangener Woche nach knapp vierwöchigen Verhandlungen auf die Vereinbarung verständigt. Die Wahl der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zur Kanzlerin und die Vereidigung der Minister ist für Dienstag geplant. Am 30. November will Merkel ihre Regierungserklärung abgeben.

Im Streit um die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts besteht die SPD weiterhin darauf, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Haushalts als Begründung anzuführen. Erste Unionspolitiker wie der baden-württembergische Finanzminister Gerd Strataus signalisieren Annäherung. Am Freitagmittag stellte sich auch Angela Merkel hinter diese Deutung.

Merkel machte deutlich, dass sie einen verfassungskonformen Etatentwurf für 2006 vorlegen wird. Beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) sagte Merkel am Freitag in Berlin, man habe bei den Koalitionsverhandlungen sehen müssen, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht "bereits gestört" sei. Weitere Einsparungen hätten diese Störungen noch verstärkt.

Damit kann die Bundesregierung die im Grundgesetz festgelegte Regelgrenze der Neuverschuldung brechen, wonach die Summe der Investitionen über der Nettokreditaufnahme liegen muss. Eine Ausnahme davon ist laut Verfassung nur zur "Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" zulässig.

Konfliktfelder

Doch gibt es weiterhin Felder der Auseinandersetzung. Die Initiative von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die Ärzte-Honorare zwischen gesetzlich Versicherten und Privatpatienten anzugleichen, erntete prompt Kritik aus der Union. Der baden-württembergische Sozialminister Andreas Renner warf Schmidt vor, sich nicht an die Koalitionsvereinbarungen zu halten, berichtet die Süddeutsche Zeitung.

Dasselbe hält SPD-Fraktionsvize Gernot Erler Merkels Berater Christoph Heusgen laut SZ in der Außenpolitik vor: Dabei geht es um die Reform des Sicherheitsrates. Heusgen hatte Ansprüche auf einen ständigen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat als "Illusion" bezeichnet. Im Koaltionsvertrag heißt es: "Deutschland bleibt bereit, auch mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsrats-Sitzes mehr Verantwortung zu übernehmen."

Bange Wahlen

Der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, Stephan Hilsberg, hat indes an alle sozialdemokratischen Parlamentarier appelliert, sich bei der Wahl des Bundeskanzlers für Angela Merkel zu entscheiden und "nicht zu zündeln". "Die große Koalition ist unser gemeinsames Projekt", sagte Hilsberg der "Leipziger Volkszeitung". Da müsse das Signal nach außen gesandt werden, "dass wir unter rein rationalen Gesichtspunkten versuchen, das Äußerste zu tun, damit es zum Erfolg geführt wird".

"Gewählt ist gewählt" gelte natürlich in jedem Fall auch für Angela Merkel, selbst wenn es zahlreiche Nein-Stimmen aus den Reihen der Koalition geben sollte. "Aber es ist eine Frage der Qualität, mit welchem Ergebnis die künftige Regierungschefin der großen Koalition gewählt wird", betonte Hilsberg. Die Symbolwirkung dieses Wahlgangs sei so groß, dass er nicht empfehlen würde, bei der Kanzlerwahl Rache zu nehmen für das schlechte Stimmergebnis für Wolfgang Thierse (SPD) bei dessen Wahl zum Vizepräsidenten des Bundestages. "Ich kann nur jedem raten, mit Ja zu stimmen", sagte Hilsberg. Hier gehe es um den Start der "Zweck-Ehe große Koalition".

(afp)
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