Die Zeichen des Antisemitismus Die Verantwortung eines politischen Künstlers

Düsseldorf · Kritik an Israel oder Verunglimpfung von Juden? Nach der Entlassung eines "SZ"-Karikaturisten wird über dessen Zeichnung gestritten. Dabei gibt es klare Kriterien für Antisemitismus. Dämonisierung zum Beispiel.

Der Karikaturist Dieter Hanitzsch (Archiv).

Der Karikaturist Dieter Hanitzsch (Archiv).

Foto: dpa/Matthias Balk

Natürlich kann man in dem Sänger mit den großen Ohren und den engen Frauenkleidern eine überzeichnete Darstellung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sehen. Dann hebt die Karikatur von Dieter Hanitzsch, die Anfang der Woche in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen ist, darauf ab, dass Netanjahu den Sieg bei einem harmlosen Spektakel wie dem Eurovision Song Contest für seine Zwecke ausnutzt, während an der Grenze zu Gaza Menschen sterben.

Doch da beginnen auch die Probleme. Denn dargestellt wird der Premier nicht nur als Schlagersängerin, sondern mit einer Rakete in der gereckten Hand - in der Pose des Aggressors also, obwohl sich Israel an seiner Grenze gegen Angriffe wehrt. Die Verhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion kann man infrage stellen. Man kann auch darüber streiten, wie sehr Israel etwa durch den Wunsch, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, die Gewalt an der Grenze provoziert. Aber so komplex ist eine Karikatur eben nicht. Und die von Hanitzsch zeigt nun allein einen prominenten Israeli mit einem Symbol der Gewalt. Und dämonisiert ihn damit.

Kritik gegen alle Juden

Zudem hat Hanitzsch einen Davidstern auf die Rakete gezeichnet. Hätte er die nachvollziehbare Kritik am Staat Israel im Sinn gehabt, hätte er eine israelische Flagge auf die Waffe malen müssen. Mit dem religiösen Symbol des Davidsterns richtet er seine Kritik gegen alle Juden, egal in welchem Staat sie leben. Dazu legt der Karikaturist dem Premier den Satz: "Nächstes Jahr in Jerusalem!" in den Mund. Eigentlich ein Ausspruch, den Juden - nicht Israelis - in der Zeit der Diaspora zum Auftakt des Pessach-Festes als hoffnungsvollen Wunsch benutzten. Natürlich ist es zynisch, diesen Ausspruch in eine Drohung zu wenden. Und Juden mit Segelohren abzubilden, bedient sowieso antisemitische Klischees, wie sie etwa Zeichner während der Nazi-Zeit geprägt haben. Und zwar unabhängig von der Frage, wie groß die Ohren von Netanjahu tatsächlich sind.

Muss ein Karikaturist all das bedenken, wenn er zur Feder greift und Bilder sucht für die Empörung, die viele Menschen gegenüber dem Verhalten Israels im Gaza-Konflikt empfinden? Ja, das ist seine Verantwortung als politischer Künstler. Ist der Mann ein Antisemit, wenn er nicht bemerkt, wo er antisemtische Klischees bedient? Das weiß nur Dieter Hanitzsch selbst. Niemand kann in seinen Kopf schauen. Bisher ist er nie durch entsprechende Äußerungen aufgefallen. Die Kritik an seiner Zeichnung aber wischt er weg. Das kann damit zu tun haben, dass sich ein anerkannter Zeichner zu Unrecht in die Ecke gedrängt fühlt. Jedenfalls beharrte er in einem aktuellen Interview auf der Harmlosigkeit seiner Zeichnung.

Eine Aufgabe, die nie beendet ist

Die Debatte über Hanitzschs persönliche Integrität tut in Wahrheit aber wenig zur Sache. Auch nicht die Feststellung, dass viele "SZ"-Leser die Karikatur überblättert haben, ohne sich viel dabei zu denken. "Die Zeichnung erinnert sofort an antisemitische Darstellungen in Nazi-Propagandablättern wie ,Der Stürmer'", sagt der Historiker Michael Wolffsohn, "wenn das nicht mehr wahrgenommen wird, ist das ein Zeichen mangelnder Sensibilität und damit eine Verharmlosung." Besonders bedenklich findet Wolffsohn, dass die Zeichnung die Prüfmechanismen in einer Redaktion durchlaufen konnte, die sich selbst als linksliberal versteht. Zumal der Fall Hanitzsch nicht die erste kritikwürdige Zeichnung ist, die nicht aufgehalten wurde. Das Blatt hat dazu selbstkritisch geäußert, dass es seine Abläufe überprüfen werde. Der Kampf gegen Antisemitismus ist also eine Aufgabe, die nie erledigt ist. Und die wache Sinne verlangt.

Karikaturen lösen immer wieder Diskussionen aus, in denen Gesellschaften ihre Haltung zu Streitfragen finden müssen. In der Frage, was Antisemitismus ist, was legitime Kritik am Staat Israel von Judenhass unterscheidet, gibt es eindeutige Kriterien - zusammengefasst als die drei D: Dämonisierung, Doppelstandards, Delegitimierung. Antisemitisch ist demnach, was zur Dämonisierung von Juden beiträgt oder dem Staat Israel die Existenzberechtigung abspricht. Dazu zeichnen sich Antisemiten dadurch aus, dass sie Israel mit Doppelmoral behandeln, dem Staat also Fehlverhalten vorwerfen, das sie bei dessen Gegnern ignorieren.

Natürlich kann man die Politik Israels kritisieren

Man kann die Karikatur also mit kühlem Kopf betrachten, feststellen, wo sie dämonisiert, und damit wäre die Sache erledigt. Doch gerade weil die Zeichnung von einem altgedienten Karikaturisten stammt und weil sie auf einen Konflikt zielt, der viele Menschen zu Recht bestürzt, ist nun auch wieder von der Moralkeule die Rede. Und von der angeblichen Unangreifbarkeit israelischer Politik. Und das ist wirklich bedenklich. Denn natürlich kann man die Politik Israels auch in Deutschland kritisieren. Sie wird auch in Israel selbst kritisiert. Doch die Existenzberechtigung Israels infrage zu stellen oder Juden zu verunglimpfen, verbietet sich. Und ja, es verbietet sich für Deutsche ganz besonders.

Bezeichnend auch, dass bei aktuellen Anlässen für Antisemitismusdebatten neuerdings oft die Rede auf den Islam kommt. Auch die Mohammed-Karikaturen waren schließlich für gläubige Muslime schwer erträglich, Verständnis für ihre Empörung aber gab es kaum. Auch manche satirische Darstellung über den Papst hat Gläubige erzürnt. Doch werden in solchen Zeichnungen eben nicht pauschal alle Muslime oder alle Christen verunglimpft, sondern Fehlentwicklungen in der jeweiligen Religion angeprangert. Das kann man geschmacklos finden. Das kann auch religiöse Gefühle verletzen, das ist der Preis der Meinungsfreiheit.

Gezeichneter Antisemitismus hingegen zielt eben nicht auf Missstände, die eine Gesellschaft wahrnehmen sollte, auch wenn es schmerzt. Er belebt nur alte Vorurteile, die schon mal in die Barbarei geführt haben.

(dok)
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