"Marsch durch Institutionen" befürchtet Die neuen Rechtsextremisten

Düsseldorf · Früher galten sie bloß als dumpf. Doch die Neonazis haben nach wissenschaftlichen Einschätzungen auch in Nordrhein-Westfalen methodisch und intellektuell eine neue Qualität erreicht. Befürchtet werden ein "Marsch durch die Institutionen" - und terroristische Nachahmetäter.

Das Neonazi-Trio und seine Helfer
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Foto: dapd, BKA/Ostthueringer Zeitung

Wenn sich die Informationen des Verfassungsschutzes erhärten, dann war der am Mittwoch in Düsseldorf festgenommene Carsten S. ein wichtiger Verbindungsmann zu dem untergetauchten rechtsterroristischen Trio aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Auf dessen Konto sollen zehn Morde beziehungsweise die Beihilfe dazu gehen. Demnach könnte er eine Waffe für sie besorgt und auch den Kontakt zu ihnen gehalten haben.

So berichteten offenbar V-Leute von einer gespenstischen Szene im März 1999. Dabei soll S. die jungen Kameraden zunächst aufgefordert haben, ihre Handys auszuschalten. Dann enthüllte er das Geheimnis, dass nicht mehr der fünf Jahre ältere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben den Kontakt zu "den dreien" halte, sondern er selbst. Auch Wohlleben soll das damals bestätigt haben. Und zwar mit der Bewertung, dass S. seine Sache gut mache.

Verfassungsschutz untersucht Verzahnungen

Damit scheinen die Ermittler durch die Auswertung von immer mehr sichergestellten Computerfestplatten und die Verhöre der inzwischen sechs einsitzenden mutmaßlichen Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) allmählich das Ausmaß jener Verstrickungen und Verzahnungen zu erfassen, die dem Verfassungsschutz jahrelang verborgen geblieben waren. Die Ermittler hatten zwar seinerzeit einen Zusammenhang zwischen den neun Morden an Migranten mit kleinen Imbissläden vermutet — aber keinen politischen und schon gar keinen rechtsterroristischen Hintergrund.

2003 war S. von Thüringen ins Rheinland gezogen. Im Jahr 2000 will er nach eigenen Worten aus der rechtsextremistischen Szene ausgestiegen sein. Die Ermittler wollen nun nicht nur wissen, was in den Jahren dazwischen passiert ist, sie beleuchten auch intensiv die Rolle, die er schon als 18-Jähriger in der Neonazi-Szene in Jena spielte. Er war Mitglied im militanten "Thüringer Heimatschutz", in dem auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe vor ihrem Untertauchen verkehrten, und neben dem Vorsitz im Jenaer NPD-Kreisverband übernahm er auch führende Funktionen im Thüringer Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten, der NPD-Nachwuchsorganisation.

Nach aktuellen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wird die Mordserie in vielen NPD-nahen Kameradschaften gefeiert. Die Mordopfer würden mit der Bezeichnung "Killer-Döner nach Thüringer Art" als Aufdruck auf in der Szene verbreiteten T-Shirts verhöhnt. In einer sichergestellten Version eines Bekenner-Videos wird unter Verweis auf die Morde an Ausländern betont, es werde nun klar, "wie ernst uns der Erhalt des deutschen Volkes ist". Weil die Terrorzelle so lange unentdeckt bleiben konnte, fürchten Verfassungsschützer, dass sich auch andere Kameradschaften in den Untergrund verabschieden könnten, um zu Nachahmertätern zu werden.

Für die Rechtsextremisten sind traditionell die Zahlen "18" oder "88" wichtig, womit sie auf den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, A und H, anspielen und damit entweder "Adolf Hitler" oder "Heil Hitler" zum Ausdruck bringen wollen. Die neuen Rechtsextremisten operieren mit der "14". Damit erklären sie sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zu Anhängern der sogenannten 14-Worte-Formel, die auf den amerikanischen Rechtsextremisten David Lane zurückgeht, der die Neonazi-Ideologie auf 14 Worte komprimiert hatte (ins Deutsche übersetzt: "Wir müssen die Existenz unseres Volks und eine Zukunft für weiße Kinder sichern"). So hält es der Verfassungsschutz nicht für Zufall, dass das NSU-Video, das sich mit den Morden brüstete, 14 Kacheln darstellte, von denen einzelne jeweils für einen Mord standen — womit sich die Frage verbindet, ob weitere Morde geplant waren.

"Neue Qualität" der Rechtsextremen

Eine "neue Qualität" der Rechtsextremen sieht auch der Sozialwissenschaftler Volker Eichener, Professor für Politikwissenschaft an der FH Düsseldorf. Er befürchtet, dass rechtsextreme Zellen ihre Mitglieder gezielt zu einem "Marsch durch die Institutionen" auffordern, um Einfluss zu gewinnen. "Früher waren wir der Meinung, der rechten Szene fehle es an Cleverness", sagte Eichener. "Mittlerweile ist die Rechte methodisch und intellektuell aufgerückt. Sie versucht, sich selbst mit Fachleuten zu versorgen und dadurch stark zu machen."

Laut Verfassungsschutz gibt es in NRW rund 810 gewaltbereite Rechtsextreme. "Vielen ist ihre Gesinnung äußerlich nicht anzusehen", erklärt Eichener. In einem Seminar habe sich ein junger Deutsch-Iraner als Rechtsextremer geoutet. Der habe dunkle Haut gehabt und lange Haare getragen. "Die Szene wird heterogener und für die Ermittler damit schwerer zu fassen", so der Professor. Auch Carsten S. sei als bekennender Homosexueller kein "typischer Rechter" gewesen. An anderen Hochschulen in NRW sind nach Angaben des Wissenschaftlers ebenfalls Rechtsextreme aufgefallen, die sich in sozialpädagogische Studiengänge eingeschleust hätten. "Sie verfolgten das Ziel, Jugendliche für ihr Gedankengut zu rekrutieren", so Eichener.

Spekuliert wird auch über Verbindungen ausgerechnet zur türkischen Rechtsextremismus-Bewegung, die unter Migranten immer mehr Anhänger gewinnt. Rund um die Ülkücü-Bewegung etabliert sich ein "türkischer Gangsta-Rap", gibt es eine NS-Verherrlichung auch mit Hakenkreuz-Symbolen.

(RP/sap/top/csi)
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